Foto: Newald

Kroatien, Frühling 1992. Die junge Republik ruft ihre Söhne zu den Waffen. Die Töchter dürfen freiwillig mitmachen. Tausende melden sich. Olivera geht zur HOS*, der Parteiarmee des Neo-Ustaša Dobroslav Paraga. Und kämpft in Bosnien. Josip wartet, bis eine echte Republik einen echten eingeschriebenen Brief schickt. Und kämpft in Kroatien.

Nom de guerre

Als der Krieg langsam zur Anekdotensammlung seiner Biografie wird, ist Josip Steinmetz in Neuseeland. Und ich sein Gehilfe. Wir schleifen in Auckland Steine für einen Ex-Hippie und einen Ex-Mod aus Yorkshire. Die Jungs aus England geben Josip erst lange nach dem Krieg seinen Kriegsnamen. Als sie ihm ein neues Werkzeug kaufen.

Höchstwahrscheinlich verirren sich Steve und Ron "The Mod" wieder bekifft in einem Baumarkt in East Tamaki und stolpern über dieses Baustellen-Gimmick. Genauso wahrscheinlich ist es, dass sie wenigstens eine halbe Stunde diskutieren, ob sie das Modell mit grünem Licht kaufen oder jenes mit dem "klassischen" roten Licht. Unstrittig ist nur, dass Steve und Ron das Spielzeug auf jeden Fall kaufen wollen.

In der Werkstatt nimmt Josip seine neue Laser-Wasserwaage in Empfang und sagt: "In war i have this on my Kalashnikov." Am nächsten Tag bekommt Josip einen neuen Arbeitsoverall. Er ist olivgrün. Über der linken Brusttasche ist ein Namensschild eingenäht. Darauf steht: "Sgt. Joe The Sniper". Steve und Ron kichern und reichen uns einen Joint. Ich schalte die Schleifmaschine aus. Weil sie Finger bekiffter Hilfsarbeiter und bekiffter Kriegsveteranen gleichermaßen in Bruchteilen einer Sekunde zu Mus verarbeiten kann.

Olivera bekommt ihren Kriegsnamen hingegen noch während des Krieges in Bosnien. Nach der tragbaren Einwegwaffe zur Panzerbekämpfung, M80, die im Jargon zolja (die Wespe) genannt wird. Weil es sich mit der Koseform ihres Namens, Olja, so schön reimt und weil sie ihre zolja so geschickt gegen gepanzerte Transporter einsetzt, wird Olja-zolja zu ihrem Kriegsnamen.

Nach dem Krieg zeigt mir Olivera ein Feuerzeug. Sie trägt es immer um den Hals, obwohl es schon leer ist. Wie ihr Raketenwerfer ist auch dieses Feuerzeug ein Einwegprodukt. Und eine ihrer Requisiten aus dem Krieg: "Damit hab' ich in Bosnien Dörfer angezündet ..."

Unsere Jungs in Bosnien

Warum Olivera als serbisch-kroatischer "Mischling" aus Dalmatien ausgerechnet mit Ustaša-Vampiren in Bosnien an einem Krieg teilnimmt, bei dem es offenbar nur darum geht, welche religiös-nationale Entität der anderen mehr Dörfer anzündet, mehr Frauen vergewaltigt und mehr Männer abknallt, bleibt ein Rätsel. Als ich sie lange nach dem Krieg (und nach ihrer zweiten Ehe mit dem zweiten Veteranen) frage, murmelt sie etwas von "unseren Jungs, die damals in Bosnien erschossen werden". Sie meint wohl Kroaten, die in der Herzegowina leben. Ich kapiere nichts davon. Wahrscheinlich ist es ohnehin so dumm wie alles an diesem Krieg.

Josip klärt mich auf: Weil die Republik Kroatien offiziell nicht am Bosnienkrieg beteiligt ist, kann man dort als kroatischer Kroate für bosnische Kroaten nur kämpfen, wenn man freiwillig bei einer kroatischen paramilitärischen Einheit aus Kroatien kämpft. Möglicherweise, so Josip weiter, will Olivera auch nicht in einer Armee kämpfen, die Titos jüngster General Franjo Tuđman befehligt. Sondern in einer Armee, die ein neurotischer Klerikalfaschist befehligt, dessen Traum von Kroatien derselbe ist, den der Klerikalfaschist Ante Pavelić einst träumt. Es ist tatsächlich alles dumm an diesem Krieg.

Browning .50 cal

Während Olivera in Bosnien von Dorf zu Dorf zieht, harrt Josip im Hinterland von Zadar in einem Bunker aus. Zumindest nennen die Soldaten es so. Der "Bunker" ist eine Senke im Karst, überdacht von Balken, Ästen und Steinen, befestigt mit Sandsäcken und Wellblech. Einem direkten Treffer eines Minenwerfers kann diese Konstruktion nicht standhalten, aber gegen Splitter, Kugeln und Steine, die bei jeder Explosion in alle Richtungen fliegen, ist der Bunker geschützt.

Das Juwel im Arsenal von Josips Bunker ist ein amerikanisches MG der Marke Browning im Kaliber .50 aus dem Zweiten Weltkrieg. Alle haben ein AK-47-Sturmgewehr und Josip seine private halbautomatische Llama-9-mm-Pistole. Für alle Fälle. Dazu drei Kisten Handgranaten und eine Kiste dieser schnuckeligen kleinen Tretminen aus deutscher Produktion, die aussehen wie Streichwurstdosen und deswegen nur "pašteta", Pastete, genannt werden.

Der Bunker der Serben, nur 100 Meter entfernt, ist eine kleine Festung aus Stahlbeton. Es ärgert Josip, dass der Feind so solide geschützt ist, während das Einzige, was Josip und seine Männer bei einem Minenwerferbeschuss schützt, ein Stoßgebet ist. Doch Josip rächt sich, so gut er kann. Nach einiger Übung gelingt es ihm, aus dem Browning-MG immer die ungefähr selbe Stelle auf dem feindlichen Bunker zu treffen. Die Geschoße sind dick wie Daumen und brechen den Beton an dieser Stelle langsam, aber sicher zu einer Mulde. Diese potenzielle Schwachstelle müssen die feindlichen Bunkerbewohner dann nachts reparieren.

Josip fixiert das MG, so gut es geht, in dieser Zielposition und wartet auf die Nacht. Wenn er Geräusche am feindlichen Bunker hört, feuert er eine kurze Salve aus dem MG. Manchmal geschieht nichts, manchmal hört er anschließend das Fluchen der Serben. Und manchmal schreit drüben jemand nach seiner Mutter, bevor er für immer verstummt.

Die Splitterweste

Angeblich ist es eine Spende der Patrioten aus Kanada: ausgemusterte Schutzwesten aus den Beständen der kanadischen Armee. Olivera wäscht ihre Weste, weil sie nach langer Lagerung stinkt. Über Nacht hängt die Weste an einem Baum in der Nähe ihrer Stellung. Am Morgen ist die Weste von mehreren Kugeln gesiebt. Es ist die Botschaft des Scharfschützen von der anderen Seite. Offenbar ist die Spende nur patriotischer Ramsch, bestehend aus vergammelten Splitterschutzwesten, die einer Kugel nicht standhalten können. Aus Wut feuert Olivera noch eine Salve in die Weste.

So wütend ist sie zuletzt, als einer ihrer Kameraden ein Hundebaby erschießt, weil es ein serbisches Hundebaby ist. Olja-zolja schießt dem Kameraden ins Bein. Ihre Bestrafung ist mild: Sie wird für zwei Wochen "zum Abkühlen" in eine Versorgungseinheit versetzt. Ihr Glück ist ihre Treffsicherheit mit dem Raketenwerfer, man braucht sie noch. Der patridiotische Kamerad humpelt durch die Hintertür für immer aus dem Krieg, beantragt eine Invalidenrente für Veteranen und wird in seinem Dorf zum Helden. Weil er allen sagt, eine serbische Kugel habe ihn zum Krüppel gemacht.

Kacken ist lebensgefährlich

Was Josip zum 30-prozentigen Kriegsinvaliden macht, ist nach seinen eigenen Worten eine Szene aus einem schlechten Kriegsfilm: Es erwischt ihn beim Kacken.

Fast alle Soldaten in Josips Bunker haben Durchfall. Man ist aber einig, dass nie im Bunker gekackt werden darf, selbst wenn es draußen Granaten regnet. Und ausgerechnet in so einem Stahlgewitter läuft Josip hinaus, weil sein Darm mächtiger ist als die Artillerie des Feindes. Er setzt alle Hoffnung in die alte Soldatenweisheit, dass Granaten niemals dieselbe Stelle zweimal treffen. Und hockt sich zum Kacken in einen flachen Trichter, den erst Minuten zuvor eine Granatwerfermine aushebt.

Doch gegen Zufälle hilft keine Soldatenweisheit. Als Josip fertig ist, im Liegen die Hose hochzieht und aus dem Trichter hinausrobbt, explodiert die unwahrscheinliche zweite Granate. Ein Splitter reißt ein Loch in Josips Ferse und beendet seine Tage als Krieger.

Dann, wenn der Frieden kommt ...

Nach dem Krieg zieht Olivera nach Zagreb. Heute lebt sie am Rand der Stadt und am Rand der Armut. Josip zieht nach Neuseeland und später nach Australien. Vor einigen Wochen bekommt er einen Herzschrittmacher, und seine Frau wirft ihn aus dem Haus und aus der Ehe.

In Split wird vor kurzem ein Denkmal für die gefallenen Angehörigen der 9. HOS-Brigade enthüllt. Und die deutschen "Pasteten" liegen noch immer im schütteren Karst zwischen den zwei Bunkern. (Bogumil Balkansky, 14.4.2016)