Geht es nach dem Sensenmann vor dem Kiewer Parlament, dann soll der Teufel die Politiker holen. Diese versuchten unterdessen, eine neue Regierung aufzustellen – oder aber auch zu verhindern.

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Kiwe/Moskau – Totgesagte leben länger: Das Schicksal von Arsenij Jazenjuk schien schon im Februar besiegelt. Seiher hat der Premier nicht nur ein Misstrauensvotum und den Zerfall der Regierungskoalition überstanden, sondern am Dienstag gar noch seine eigene Rücktrittserklärung – zumindest vorläufig.

Die eigentlich als kurze Formalie gedachte Abstimmung in der Rada über den Rücktritt Jazenjuks und die Bildung einer Nachfolgeregierung erwies sich als Marathon und Hindernislauf zugleich. Erst am Nachmittag tauchte überhaupt das Projekt einer Abwahl des Premiers auf der Tagesordnung des Parlaments auf – doch zur Abstimmung kam es nicht mehr. Die an der Regierung beteiligten Parteien wurden sich offenbar nicht über die Verteilung der Posten im neuen Kabinett einig. Rada-Vizechef Andrij Parubij beendete die Sitzung des Parlaments schließlich nach stundenlangem ergebnislosem Hickhack in den Hinterzimmern. Der nächste Versuch soll bereits am Mittwoch stattfinden.

Die Machthebel in der Hand

Einerseits gibt es offenbar Differenzen zwischen Poroschenko und dem Premierminister in spe, Wladimir Groisman, über einzelne Personalien. Andererseits dürfte auch die Nationale Front (NF) von Jazenjuk hoch pokern. Für Jazenjuk wäre das Scheitern der Verhandlungen optimal, meint der Kiewer Politologe Alexander Kawa. "Solange er Premier ist, hat er alle Machthebel der Exekutive in der Hand. Als einfacher Abgeordneter der Regierungskoalition wäre sein Einfluss dahin", analysiert er. Sein Interesse an einer Einigung sei also gering, glaubt Kawa. Die NF streitet jede Verzögerungstaktik ab.

Theoretisch könnte Poroschenko vorgezogene Neuwahlen ausrufen, um das Machtvakuum zu füllen. Doch dabei droht nicht nur Jazenjuks NF in der Versenkung zu verschwinden, auch Poroschenkos Popularität ist zuletzt stark gesunken und hat durch die Publikation der Panama Papers noch zusätzlich gelitten. Er würde ebenfalls geschwächt.

Besorgnis im Ausland

Europaratsgeneralsekretär Thor bjorn Jagland bezeichnete die Situation in der Ukraine als "äußerst instabil". Die Regierung müsse nicht nur schnell gewählt werden und ihre Arbeit aufnehmen, sondern auch das Tempo bei den Reformen erhöhen, forderte der norwegische Sozialdemokrat und Diplomat.

Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) hat auf das politische Chaos reagiert und seine Wachstumsprognose gegenüber dem vergangenen Herbst von zwei auf 1,5 Prozent gesenkt. Die Inflation wird mit gut 15 Prozent ebenfalls höher als erwartet ausfallen.

(André Ballin, 12.4.2016)