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Orbán: kleine Niederlage, um eine größere zu vermeiden.

Foto: Reuters/Balogh

Mit den Stimmen der Opposition und jenen des überwiegenden Teils des Regierungslagers hat das ungarische Parlament am Dienstag den in der Bevölkerung ungeliebten Sonntagsladenschluss zu Fall gebracht. Die vom rechtspopulistischen Premier Viktor Orbán vor einem Jahr verfügte Regelung ist damit vom Tisch.

Den überraschenden Rückzieher hatte Orbán höchstpersönlich veranlasst. Er zog damit die Notbremse, um ein von den oppositionellen Sozialisten (MSZP) auf den Weg gebrachtes Volksbegehren zu vermeiden, das für den machtbewussten Politiker eine weitaus größere Niederlage bedeutet hätte.

Eingeführt hatte Orbán den von der christdemokratischen KDNP seit Jahren geforderten einkaufsfreien Sonntag mit der Begründung, dass "niemand am Sonntag zur Arbeit gezwungen werden" dürfe. Entscheidender als das Zugeständnis an das klerikale Segment seines Regierungsanhangs war aber für Orbán, dass die neue Regelung die großen ausländischen Handelsketten zu schwächen versprach, die mit ihren Einkaufszentren an Sonntagen gute Geschäfte machten. Denn die Regelung nahm ausdrücklich kleinere Geschäfte sowie Franchiseläden der Orbán-nahen ungarischen Kette CBA vom Sonntagsverkaufsverbot aus.

Massive Ablehnung

Die Regelung schnitt allerdings empfindlich in das Alltagsleben der Ungarn ein, denn sie sind es seit der Wende vor mehr als 25 Jahren gewohnt, auch am Sonntag einzukaufen. Die Neuregelung stieß deshalb von Anfang an auf massive Ablehnung. Dies blieb auch der sonst eher impotenten demokratischen Opposition nicht verborgen. Die Sozialisten unternahmen mehrere Vorstöße, um die Ladenschlussregelung durch eine Volksabstimmung zu kippen. Doch Fidesz-Sympathisanten reichten bei der Wahlbehörde entsprechend formulierte Scheinfragen zur selben Thematik ein, um den Aktenlauf der Sozialisten möglichst zu blockieren.

Am 23. Februar kam es im Büro der Wahlbehörde zu einem "Fristenwettlauf" zwischen dem MSZP-Politiker István Nyakó und einer älteren Fidesz-Anhängerin, die von Hooligans aus dem Umkreis des Fidesz-Parteidirektors Gábor Kubatov begleitet wurde: Die Schlägertypen drängten Nyakó von der Stechuhr weg, sodass ihm die Fidesz-Frau um drei Sekunden zuvorkam.

Debakel abgewendet

Das Oberste Gericht beendete dann am Mittwoch vor einer Woche die Posse, indem es den Antrag der Fidesz-Anhängerin für ungültig und jenen Nyakós für zulässig erklärte. Hätten die Sozialisten in der Folge 200.000 Unterschriften gesammelt – was ihnen zweifellos gelungen wäre –, wäre die Volksabstimmung über die Rücknahme der Sonntagsschließung nicht mehr aufzuhalten gewesen. Indem Orbán in der Sache nachgab, entging er wohl einem ihm drohenden Debakel. (Gregor Mayer aus Budapest, 12.4.2016)