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Eine Straße nahe dem Tahrir-Platz in Kairo: Seit den Aufständen säumen hier Revolutionsgraffiti die Wände. Mittlerweile wurden öffentliche Graffiti verboten, und es wird immer schwieriger für die junge Generation, Kritik am Regime zu äußern.

Foto: Picturedesk / Johann Rousselot / laif

Wien – Für kurze Zeit hatten sie den arabischen Frühling in Ägypten zum Aufblühen gebracht: junge, gut ausgebildete Menschen, ursprünglich eher politikfern und über Facebook und andere soziale Netzwerke organisiert. Fünf Jahre nach den ersten Protesten für Freiheit und Demokratie am Tahrir-Platz in Kairo hat das Land den Sturz des damaligen Präsidenten Hosni Mubarak und den seines Nachfolgers Mohammed Mursi hinter sich. Seit dem Militärputsch 2013 ist General Abdelfattah al-Sisi an der Macht.

"Es ist seither immer schwieriger geworden, offen Kritik zu äußern", sagt Sabine Bauer. "Wer regierungskritische Kommentare auf Facebook postet, dem drohen Haftstrafen." Wegen des autoritären Vorgehens des Regimes sei es in den letzten Jahren selbst um die lautstärksten Aktivisten still geworden. Seit kurzem gebe es aber wieder vermehrt kleinere Proteste, etwa als Reaktion auf Polizeiwillkür, berichtet die Sozialanthropologin.

Sabine Bauer hat die vergangenen dreieinhalb Jahre damit verbracht herauszufinden, was aus den jungen Revolutionären des arabischen Frühlings geworden ist und welche Bewältigungsstrategien sie in Zeiten des ständigen Umbruchs entwickelten – von Online-Aktivismus bis zu Graffiti. In ihrem Dissertationsprojekt, das sie mithilfe eines Doc-Stipendiums der Österreichischen Akademie der Wissenschaften am ÖAW-Institut für Sozialanthropologie durchführte, nahm sie in Summe 24 Monate intensiv am Leben junger Menschen in Kairo teil. "Ich habe in Familien mitgewohnt, bin zu Bewerbungsgesprächen und Demonstrationen mitgegangen", beschreibt Bauer die Methode der teilnehmenden Beobachtung. Zusätzlich hat sie umfassende Interviews geführt und (soziale) Medien analysiert.

Insgesamt 30 Menschen hat sie über die Jahre begleitet. "Alle waren mit der Uni fertig, noch nicht verheiratet und bei der Revolution in Kairo aufseiten der Opposition", erläutert Bauer die Kriterien für die Auswahl. Sie alle gehörten einer Generation an, die nicht nur in einer politischen Übergangsphase lebte, sondern auch zwischen Ausbildung und Arbeitsleben stand und somit an der Schwelle zur Selbstständigkeit.

"Im Arabischen gibt es den Ausdruck Shabab für junge Erwachsene, die zwar keine Teenager mehr sind, aber noch daheim wohnen und von den Eltern abhängig sind", sagt Bauer. Durch die politische Situation und fehlende Jobs sei es für die Jungen aber schwieriger geworden, den Shabab-Status abzulegen. Umso mehr Strategien legten sich die Betroffenen zu, um ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen.

Bauer analysierte etwa Aktionen wie "Colouring Thru Corruption", bei der Aktivisten öffentliche Orte mit bunten Farben markierten und Fotos davon auf Facebook teilten, um das Ausmaß der Korruption deutlich zu machen. Mittlerweile sind Graffiti in der Öffentlichkeit verboten und werden regelmäßig übermalt – weshalb sich der Protest zunehmend ins Internet verlagerte, wo sarkastische Fotomontagen und Videos kursieren und Politiker bei jeder Gelegenheit als Lachnummer inszeniert werden. "Humor ist eine gute Möglichkeit, um sich um die restriktiven Gesetze herumzuschummeln", sagt Bauer.

Wie sich die Aktivisten organisieren und welche Strategien sie entwickeln, um mit der Situation umzugehen, hängt aber stark davon ab, in welchem gesellschaftlichen Umfeld sie leben, fand Bauer heraus. Sie hat etwa mit einer Aktivistin gearbeitet, die aus einem liberalen Haushalt in einem wohlhabenden Viertel kam. Neben ihrer Arbeit als Freelancerin bei einer Frauenzeitschrift nahm sie regelmäßig an Treffen junger Oppositioneller im Kairoer Stadtzentrum teil. "Das war nur möglich, weil ihr Vater sie finanzierte und sie sich ein eigenes Auto und die Innenstadtcafés leisten konnte", sagt die Sozialanthropologin.

Verschiedene Lebenswelten

Auf der anderen Seite des Spektrums führt sie eine junge Frau an, die sich auf Online-Aktivismus spezialisiert hatte. "Sie kam aus einer armen Gegend, arbeitete in einem Callcenter und war die Hauptverdienerin der Familie", sagt Bauer. "Sie hatte weder Zeit noch Geld, um zu den Treffen zu fahren – außerdem war ihre Familie dagegen."

Dadurch, dass Bauer sowohl an der privaten American University in Kairo als auch an der öffentlichen Cairo University arbeitete, konnte sie Kontakt mit Menschen aus völlig unterschiedlichen Lebenswelten aufnehmen. Die gewählte Strategie bot aber den jungen, oft perspektivlosen Aktivisten nicht nur die Möglichkeit, sich zugehörig zu fühlen, sie konnte ebenso eine Einschränkung darstellen, berichtet Bauer: "Ein junger Mann, der Wirtschaft studiert hatte und sich dann der Graffitikunst zuwandte, konnte als Sprayer nicht Fuß fassen – einfach, weil er nicht dem westlichen Bild des jungen, wütenden Künstlers entsprach, für den Religion keine Rolle spielt. Deshalb konnte er in der internationalen Sprayerszene keine Sponsoren finden."

Libanon, Syrien, Ägypten

Im Februar hat Sabine Bauer ihre Feldforschung abgeschlossen – zu der sie selbst über einige Umwege gekommen war. 2011, als sie im Libanon für ihre Magisterarbeit an der Uni München arbeitete, wurde sie plötzlich vom Arabischen Frühling überrascht und landete in Syrien, das damals als sicheres Nachbarland galt. Dort wollte sie ihre Dissertation machen.

Als im Zuge des Bürgerkrieges der Kontakt zu ihren Interviewpartnern abbrach, wollte sie der wissenschaftlichen Arbeit den Rücken kehren und nahm 2012 ein Praktikum bei der deutsch-arabischen Handelskammer in Kairo an – wo sie sowohl in das Leben der jungen Menschen als auch in die Forschung eintauchte. Am ÖAW-Institut für Sozialanthropologie in Wien fand sie dann mit dem Institutsleiter Andre Gingrich den optimalen Betreuer.

Heute zieht sie Resümee: "Je autoritärer das Vorgehen, desto höher die Frustration. Derzeit steigt die Unzufriedenheit wieder, und damit auch die Proteste gegen die Willkür der Behörden." Nach wie vor sei die Bewegung keine einheitliche, doch die Erfahrung der Unterdrückung könne auch so unterschiedliche Gruppen wie Linksaktivisten und Muslimbrüder einen, meint Bauer. Immer wichtiger werde die Populärkultur: So erreicht die Popgruppe Cairokee mit ihren kritischen Liedern Millionen Klicks auf Youtube, und eine informelle Musikszene veröffentlicht anonym Protestsongs, die selbst in Kairos hippen Innenstadtclubs gespielt werden. "Es ist schwer vorauszusagen, wie sich die Lage entwickeln wird", sagt Bauer, aber: "Es brodelt." (Karin Krichmayr, 16.4.2016)