Normalerweise nimmt Daniel Johnson an anderen Maß: Hier ist der Personal Shopper bei der Anprobe eines Maßanzugs zu sehen.

Foto: Daniel Johnson

STANDARD: Ein neuer Kunde kommt zu Ihnen. Was machen Sie zuerst?

Daniel Johnson: Normalerweise haben meine Kunden nicht viel Zeit, deshalb führe ich Vorgespräche. Ich will wissen, welche Schuh- und Kleidergröße sie haben, ich bitte sie, mir ein Foto zu schicken, um die Proportionen zu sehen. Dann kaufe ich Sachen ein, die ich mit den Kunden anprobiere. Ich nehme ihnen eine Bürde ab, weil ich weiß: Männer hassen Shopping.

STANDARD: Ist das so?

Johnson: Wenn Männer Kleidung einkaufen, haben Sie keine Ahnung, was sie wollen, wo sie es herbekommen. Männer wollen Listen abarbeiten. Ich will das und das, rein in das Geschäft, wieder raus, fertig. Das funktioniert nur leider beim Shopping nicht.

STANDARD: Wenn jemand einen Anzug möchte, worauf achten Sie?

Johnson: Ich schaue nach, aus welchem Material er hergestellt ist. Anzüge für 300 Pfund (circa 370 Euro; Anm.) sind normalerweise aus Polyester, das ist kein Wohlfühlstoff. Sie werden darin schwitzen. Es wird Ihnen kein Vergnügen bereiten, ihn zu tragen.

STANDARD: Spielt das Budget eine Rolle?

Johnson: Natürlich. Wenn es nicht mehr als 500 Pfund sein dürfen, schaue ich bei Massimo Dutti oder COS nach, die haben noch einen gewissen Sinn für Design. Dürfen es mehr als 1000 oder 2000 sein, gehe ich zu Canali, Brioni oder Zegna.

STANDARD: Welche Regeln gibt es beim Anzugkauf?

Johnson: Zuerst schauen Sie, ob das Jackett an den Schultern passt. Das kann ein Schneider am schwersten ändern. Die Naht muss am Ende des Schulterknochens sein, nur wenn Sie einen muskulösen Bizeps haben, darf sie darüber hinaus sitzen.

STANDARD: Wie muss der Anzug denn sitzen?

Johnson: An der Hüfte sollte er eine V-Silhouette erschaffen. Schließen Sie denjenigen Knopf, der am dichtesten an jener Stelle liegt, wo Ihre Hüfte am schmalsten ist. Auf keinen Fall den untersten Knopf zumachen, sonst haben Sie eine Sackfigur. Selbst wenn ich meine Jacke mit dem mittleren Knopf schließe, erzeuge ich die Illusion, dass ich ins Sportstudio gehe. Die Form ober- und unterhalb des geschlossenen Knopfes sollte zwei gegenüberliegenden Dreiecken gleichen. Dadurch sehen die Beine automatisch länger aus, Sie erhalten eine Art Größenbonus. Brust weit, Hüfte eng, Beine lang. Das ist das ganze Geheimnis.

STANDARD: Wie lang sollte das Jackett sein?

Johnson: Dafür gibt es die Faustregel: Formen Sie Ihre Hand zu einer Faust, lassen Sie die Arme hängen. Dort, wo die Faust ist, sollte das Jackett enden.

STANDARD: Und die Hose ...

Johnson: ... wird bei den Briten so gekürzt, dass sie genau die Hälfte des Schuhs verdeckt. Die Italiener lieben es, wenn der Saum gerade so Zunge und Senkel berührt. Na ja, das ist ein wenig modischer, wir Engländer fertigen unsere Sachen lieber für die Ewigkeit an.

STANDARD: Wie sieht das konkret aus?

Johnson: Es sind schwerere und robustere Stoffe, mit denen die Schneider arbeiten. Das hängt einfach mit dem Wetter zusammen. Deshalb haben italienische Anzüge auch meist weniger Polster in den Schultern und kaum Schichten im Futter. In einem englischen Jackett finden Sie vier, im italienischen höchstens zwei. Es heißt nicht, dass die Qualität schlechter ist, die Anzüge sind einfach für ein anderes Klima gedacht. Genauso wenig bedeutet ein teurerer Anzug eine längere Lebensdauer.

STANDARD: Eine Idee, warum sich Männer mit Mode so schwer tun?

Johnson: Weil sie ihre Zeit darauf verwendet haben, eine Karriere aufzubauen und eine Wohnung zu kaufen, aber keinen Gedanken an ihre Garderobe verschwendet haben. Nun merken sie, dass ihnen was fehlt.

STANDARD: War Stilbewusstsein nicht einfach verpönt in der Geschäftswelt?

Johnson: Möglicherweise vor zehn Jahren, als niemand zugeben wollte, dass er einen Stylisten zurate zieht. Inzwischen erhalte ich laufend Weiterempfehlungen von Männern, für die es normal geworden ist.

STANDARD: Warum hat das Phänomen Personal Shopping so zugenommen?

Johnson: Der Modemarkt für Männer ist 2009 zum ersten Mal stärker gewachsen als der für Frauen – auch wenn das Niveau nach wie vor weit unter dem für Damen liegt. Seitdem wächst das Segment. Es gibt unheimlich viele Männerzeitschriften, auf Instagram teilen Männer ihre Stiltipps, das ist kulturell vom Verdacht der Homosexualität befreit. Was sowieso engstirnig ist. Ich berate schwule Männer, die keinen Schimmer haben, wie sie sich richtig anziehen sollen.

STANDARD: Welche Männer kommen zu Ihnen?

Johnson: Cash rich, time poor: viel Geld, kaum Zeit. Geschäftsleute, Musiker, Schauspieler.

STANDARD: Und Mitglieder einer Königsfamilie ...

Johnson: ... ich darf Ihnen aus Diskretionsgründen nicht sagen, um wen es sich handelt. Um vier Uhr morgens bekam ich einen Anruf, den ich weggedrückt habe, dann um sechs, um acht, bis ich schließlich ans Telefon ging. Die Stimme am anderen Ende sagte: Können Sie nächsten Samstag im Dorchester Hotel sein? Wir haben eine königliche Familie in der Stadt, die mit Ihnen arbeiten möchte. Ich ging mit einer Assistentin in das Hotelrestaurant, die Hälfte des Raumes war abgesperrt, wir beide bekamen einen Bodyguard und einen Mercedes gestellt – und vier Tage lang kauften wir ein. Unglaublich viel Geld wurde ausgegeben. Das passiert höchstens zweimal im Jahr.

STANDARD: Welchen Look würden Sie solchen Kunden derzeit empfehlen?

Johnson: Das britische Männermodel David Gandy hat kürzlich einen Anzug von Spencer Hart mit einer roten Krawatte und einer Weste kombiniert. Genauso ein Outfit habe ich einem Kunden schon in seiner Größe verkauft – und er ist hingerissen, obwohl er nie gedacht hätte, dass er so etwas tragen kann. (Ulf Lippitz, RONDO, 17.4.2016)