Grenzübergang Spielfeld: Hier könnten künftig Flüchtlinge daran gehindert werden, ein geregeltes Asylverfahren in Österreich zu bekommen.

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Wien – Der Plan der Bundesregierung, Asylschnellverfahren durchzuführen, sorgt unter Verfassungsjuristen für geteilte Meinungen. Gesetzesänderungen in einem grundrechtlich derart sensiblen Bereich "in einem Hauruckverfahren ohne Begutachtung regeln zu wollen, halte ich für einen demokratiepolitischen Skandal und rechtsstaatlich in höchstem Maße bedenklich", sagt Verfassungsjurist Hannes Tretter von der Universität Wien und vom Boltzmann-Institut für Menschenrechte.

Sollte Österreich tatsächlich wegen einer behaupteten Bedrohung der öffentlichen Ordnung und zum Schutz der inneren Sicherheit das einschlägige EU-Recht nicht mehr anwenden und Schnellverfahren an der Grenze einführen, dann käme das einer von Österreich geöffneten "Büchse der Pandora" gleich. Auch andere EU-Mitgliedsstaaten könnten dann auf Wien verweisen und möglicherweise ähnliche Maßnahmen in Kraft setzen. Die Folge wäre ein Aushebeln menschenrechtlicher Standards im Asylbereich, die unter anderem durch die Genfer Flüchtlingskonvention und die EU-Grundrechtecharta vorgegeben sind, so Tretter. Es brauche "weiterhin dringend eine EU-weite einheitliche Regelung", meint der Grundrechtsexperte.

Ohne Asylprüfung

Der Entwurf für die geplante Verordnungsermächtigung sieht unter anderem vor, dass künftig ohne Asylprüfung regelmäßig der Versuch einer Zurückweisung ins Nachbarland unternommen wird. Dies sei menschenrechtskonform, da es sich bei Österreichs Nachbarstaaten ohnehin um sichere Gebiete handle, so die Annahme. "Es fragt sich, ob hier nicht etwas vorausgesetzt wird, was angesichts der chaotischen Zustände in vielen EU-Ländern nicht mehr der Fall ist", sagt Tretter.

Keine Dammbruchgefahr sieht hingegen Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk, der mit dem Europarechtler Walter Obwexer für die Bundesregierung das Asyl-Richtwertgutachten verfasst hat. Funk sieht "kein Risiko für Notstandsregelungen bei anderen grundrechtsrelevanten Themen". Er widerspricht damit dem österreichischen Amnesty-International-Generalsekretär Heinz Patzelt, der im STANDARD davor gewarnt hatte, dass künftig auch andere Menschenrechte aufgeweicht werden könnten.

Funk sagt, im Unterschied etwa zur Meinungsfreiheit "gibt es laut überwiegender europäischer Judikatur kein Grundrecht auf Asyl". Das eröffne die Möglichkeit, auf Grundlage von Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (AEUV) Sonderregelungen zu beschließen.

Diese müssten "natürlich empirisch sehr gut belegt sein". Der Europäische Gerichtshof (EuGH) sei befugt, dies zu überprüfen. Es reiche aber, "wenn es einem Staat unmöglich ist, ein ausgewogenes System zu erhalten".

Funk: Asylrecht veraltet

Das Asylrecht sei den Herausforderungen nicht mehr gewachsen. Es stamme "aus Zeiten, in denen Monarchien den Verfolgten anderer Staaten Schutz erteilten" und sei "bereits kollabiert". Regelungen wie die höchst umstrittene Verordnungsermächtigung sind laut Funk aus diesen Gründen "alternativlos".

Tretter bezweifelt hingegen, dass die Flüchtlinge, die nach Österreich gekommen sind, eine solche Notverordnung rechtfertigen würden. Es sei daher auch fraglich, ob Österreichs Argumentation vor dem EuGH halten würde.

Kritik der Rechtsanwälte

Scharfe Kritik am Verzicht auf ein Begutachtungsverfahren kommt auch vom Österreichischen Rechtsanwaltskammertag (ÖRAK). "Dass man maßgebliche Stellen im Vorfeld nicht einbindet, ist skandalös", meint ÖRAK-Grundrechtsexperte Bernhard Fink. Mit dem Entwurf "rückt man unverhohlen von EU-Standards ab", etwa vom Prinzip, dass Asylsuchende während des Verfahrens vor einer Abschiebung geschützt sind. Der Jurist hält die Tatsache, "dass Notverordnungen beschlossen werden sollen, als ob man sich im Krieg befände", für "ein Problem". Die Kriterien fürs Ausrufen eines solchen Bedrohungszustandes seien im Entwurf nicht klar definiert. (Irene Brickner, Maria Sterkl, 12.4.2016)