Demokratische Rechtsstaaten müssen manchmal mit repressiven Regimen zusammenarbeiten, was sie vor ein Dilemma stellt: Wie können sie ihre Interessen verfolgen, ohne eigene Werte zu verraten? Ein Ausweg ist Realpolitik in den Sachfragen, gekoppelt mit Standfestigkeit bei Grund- und Menschenrechten. So sollen westliche Regierungen trotz des Handels mit China den Dalai Lama empfangen. Wenn das den Partner stört, ist das seine Sache.

Die deutsche Bundesregierung hat dieses Prinzip bei Jan Böhmermanns böser Satire von Anfang an verletzt. Weil sie um das schwer erkämpfte Flüchtlingsabkommen mit der Türkei fürchtet, hat Kanzlerin Angela Merkel Verständnis für die verletzte Ehre von Präsident Tayyip Erdogan gezeigt – und ihm damit das Tor zu einer Strafverfolgung Böhmermanns geöffnet.

Die Regierung muss sich nun zwischen äußerer Staatsräson und innerer Glaubwürdigkeit entscheiden. Der überholte Paragraf 103, der die Beleidigung von Vertretern ausländischer Staaten unter Strafe stellt, verlangt eigentlich ein Verfahren. Aber dieses wäre durch den Kontext von Böhmermanns Schmähsatire der Lächerlichkeit preisgegeben.

Merkel müsste das türkische Verlangen daher aus Eigeninteresse abweisen; sie stünde sonst schmählich als Handlangerin eines Despoten da. Für Böhmermann aber böte ein Strafprozess eine große Chance für neue Satiren – zur Fortsetzung seines Kampfes für die Meinungsfreiheit. (Eric Frey, 11.4.2016)