Die neuen Rewe-Lehrlinge beim Vorbereitungskurs: Warenkunde, Deutsch und der Umgang mit Kunden wurde intensiv bearbeitet, bevor es für die jugendlichen Flüchtlinge in die Märkte ging.

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Die Truppe ist bunt, die 18 Lehrlinge kommen aus Afghanistan, Syrien, Tschetschenien, Somalia und Sierra Leone. Dafür, dass Unternehmen sich wegen der ungewissen Situation davor fürchten, Flüchtlinge auszubilden, gibt es in der Rewe-Zentrale kein Verständnis: "Jeden anderen Lehrling können wir auch verlieren."

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Da, wo er herkommt, gebe es keine Drachenfrucht, sagt Raqueeb Yusuf, auf die Unterschiede im Warensortiment angesprochen. Der gebürtige Afghane sitzt im Pausenraum der Penny-Filiale, in der er seit Jänner eine Lehre absolviert. Nach vielen Stationen in Österreich fühlt er sich endlich angekommen, verdient das eigene Geld und lebt in einer Wohnung, die er mit einem Freund teilt. Er lächelt.

Zusätzliche Lehrstellen

Wenige Monate zuvor, als im Herbst so viele Flüchtlinge in Österreich ankamen wie nie zuvor, entschloss man sich bei Rewe dazu, zusätzliche Lehrstellen für jugendliche Flüchtlinge anzubieten. Zu einer ersten Infoveranstaltung kamen nicht die erwarteten 150-200 Personen, sondern nur 40. Nach persönlichen Gesprächen mit den Interessenten startete die diverse Gruppe – die Jugendlichen kommen aus Afghanistan, Syrien, Tschetschenien, Somalia und Sierra Leone – mit einem Werte- und Sprachkurs. "Wir haben gelernt, wie in Österreich mit Kunden umgegangen wird und welche Waren es gibt."

Fehlende Infos

"Viele konnten die Sprache verbessern", sagt der 21-jährige Yusuf. Dass er heute hier sitzt und in ausgezeichnetem Deutsch über seinen Job spricht, hätte er vor wenigen Jahren noch nicht geglaubt: 2012 kam er nach einer langen Flucht – sieben Monate verbrachte er in Griechenland – in Österreich an. Wieso genau hier? "Ich wollte nur irgendwohin, wo es sicher ist", sagt Yusuf. Deutsch zu lernen erschien ihm anfangs, in Traiskirchen, unmöglich. Es folgten viele Ortswechsel, Unterkünfte, Kurse, Beratungen und Bewerbungen. Wie die Berufswelt hier aussieht und was er als subsidiär Schutzberechtigter für Möglichkeiten hat, erfuhr Yusuf vor allem durch seine "Patenmutter", ohne sie wäre er aufgeschmissen gewesen, erzählt er.

Bei Rewe vermutet man, dass fehlende Information über Möglichkeiten und Angebote der Grund für die wenigen Bewerbungen war. "Flüchtlinge müssen klare Infos bekommen", sagt Eva Giefing, Lehrlingsbeauftragte bei Merkur. Dafür, dass Unternehmen sich wegen der ungewissen Situation davor fürchten, Flüchtlinge auszubilden, hat sie kein Verständnis: "Jeden anderen Lehrling können wir auch verlieren."

Runde Zwei im September

Das Programm abgebrochen hat bis jetzt nur ein Jugendlicher. Rewe-Personalchef Johannes Zimmerl ist mit dem ersten Versuch sehr zufrieden: "Ich habe die jungen Menschen als anständig, bemüht und interessiert kennengelernt." Natürlich seien laufende Asylverfahren ein Risiko, aber Zimmerl möchte andere Unternehmen motivieren, ebenfalls Flüchtlinge auszubilden. Es wäre kurzfristig gedacht, sie einfach wegzuschicken. "Wir sehen schon auch den wirtschaftlichen Vorteil in der Beschäftigung dieser Menschen", sagt er. Im September werden neue Lehrausbildungen beginnen, wieder mit Beteiligung von Flüchtlingen. Der Bewerbungsprozess sei dabei für alle gleich, sagt Zimmerl. "Bei schlechteren Deutschkenntnissen haben wir aber Verständnis."

Religion in der Arbeit

Iman ist das einzige Mädchen der Gruppe, ihre Nachnamen möchte sie nicht in der Zeitung sehen. Die 17-jährige gebürtige Tschetschenin hat sich für eine Konditorlehre entschieden. Dass sie dabei ein Kopftuch tragen möchte, sei kein Problem. "Wir haben uns allerdings darauf geeignet, dass es ein schlichtes sein soll." Der 17-Jährigen ist es wichtig, ihren Glauben im Job nicht verstecken zu müssen. "Wir haben im Laufe der Infoveranstaltungen einiges gelernt, dachten anfangs beispielsweise gar nicht daran, dass es für einen gläubigen Muslim ein Problem sein könnte, Schweinefleisch zu schneiden oder Alkohol zu verkaufen. Dann muss man natürlich in eine andere Branche", sagt Giefing.

Auch Yusuf wollte zuerst etwas anderes machen. Nicht wegen Schweinefleisch oder Alkohol – "ich trinke selbst ab und zu. In der Arbeit hat Religion sowieso nichts verloren", sagt er. Der Vater habe zu Hause eine Werkstatt gehabt, in der Yusuf aushalf. Mit der Arbeit als Mechaniker klappte es aber nicht – für wie viele Jobs und Lehrstellen er sich beworben hat, weiß Yusuf nicht mehr. Oft habe er gar keine Antwort bekommen. Die Lehre im Einzelhandel möchte er gut abschließen, sein großer Traum ist es aber zu studieren. "Literatur und Philosophie interessieren mich."

Anschluss finden

Zweimal pro Woche sitzen die jungen Flüchtlinge in der Berufsschule. Den ersten Monat verbrachten sie gemeinsam in separaten Klassen, nun sitzen sie in den regulären Klassen. Für Iman und Yusuf ist das kein Problem, ihr Deutsch ist gut. Sie können sich aber vorstellen, dass sich andere der Gruppe schwerer tun – auch dabei, Freunde zu finden. Die Schule sei okay, sagt Iman, im Alltag müsse sie sich aber oft blöde Sprüche wegen des Kopftuches anhören, in der U-Bahn oder auf der Straße, erzählt sie und weint dabei leise.

Weit weg von "daheim"

Beim Thema "Zuhause" werden beide still und nachdenklich. Yusuf ist allein geflüchtet, Kontakt zur Familie gebe es fast nicht, Verwandte sind auf der ganzen Welt verstreut. Seine Lehrlingskollegin erinnert sich kaum mehr an ihre Heimat, ist schon seit ihrer Kindheit in Österreich. Dass sie ihre Herkunftsländer jemals wieder betreten werden, glauben beide nicht. Sie sehen sich als Österreicher und wollen auch so wahrgenommen werden.

Die schwere Last, die alle mit sich herumtragen, beschäftigt auch die Rewe-Verantwortlichen. "Wir haben uns gefragt, wie wir mit Traumata umgehen. An der Oberfläche merken wir nichts, aber im persönlichen Gespräch können die Tränen fließen", sagt Giefing. "Das Wichtigste ist, nicht paralysiert und ängstlich zu sein." (lhag, 10.4.2016)