Bosniakinnen demonstrierten Anfang Februar in Sarajevo gegen das sogenannte "Kopftuchverbot", wonach sie den Hidschab, wenn sie für die Justiz arbeiten wollen, ablegen müssen. Sie orten Diskriminierung und eine Beschränkung der Religionsfreiheit.

Foto: AFP / Elvis Barukcic

Anfang des 20. Jahrhunderts trug man noch Schleier zum Kostüm.

Sie trugen schwarze oder weiße Tücher vor dem Gesicht, sodass niemand ahnen konnte, wer da spazieren ging. Als Österreich-Ungarn im Jahr 1878 Bosnien-Herzegowina okkupierte, waren muslimische Frauen vollverschleiert. Die Österreicher nannten sie "türkische Frauen" – und verwiesen damit auf das Osmanische Reich. Die Entschleierung dauerte Jahrzehnte.

Man konnte den steten Einfluss der Moderne beobachten. Es gab Frauen, die modisch gekleidet waren – sie trugen etwa Kostüme, und trotzdem flatterte der Hutschleier vor ihrem Gesicht. Erst in den 1950er-Jahren verbot man im Tito-Jugoslawien die komplette Bedeckung der Frau. Bis dahin gab es etwa im konservativen Sandschak in Serbien noch viele Frauen, die ihr Gesicht verhüllten. Das Kopftuch blieb in Jugoslawien erlaubt. Allerdings wurde es zunehmend unmodern. Heutzutage ist es vielen konservativen Muslimas wichtig.

Es gibt Familien in Sarajevo, bei denen männliche Besucher sich anmelden müssen, damit die Frauen vorher ihren Hidschab, also das Kopftuch anlegen können. Unter säkularen Bosniern wird der religiöse Einfluss sehr kritisch gesehen. Zurzeit läuft eine Diskussion um den Hidschab, die eigentlich eine Debatte über den Säkularismus ist. Der Hohe Rat für Justiz hat angewiesen, dass Angestellte der Justiz keine religiösen Symbole tragen sollten. In Bosnien-Herzegowina, wo Religionszugehörigkeit mit ethnischer Zugehörigkeit gleichgesetzt wird, haben religiöse Symbole noch eine ganz andere Bedeutung als in liberalen EU-Staaten. Der Justizrat bezog sich auf mehrere Gesetze für Angestellte der Justiz, die den "Ausdruck von politischen, religiösen oder ethnischen Zugehörigkeiten" verbieten.

Rechte von anderen schützen

Prinzipiell kann die Religionsfreiheit nur eingeschränkt werden, wenn man damit die Rechte von anderen Menschen schützen will. Im Fall des Verbots des Tragens von religiösen Symbolen in der Justiz ist diese Argumentation nachzuvollziehen. Der Krieg in Bosnien-Herzegowina wurde erst vor 21 Jahren beendet. Neutralität und Respekt des Staates gegenüber allen Religionsgruppen sind in dem Kontext wichtig für das Zusammenleben. Diese Haltung kann sich auch in einer Zurückhaltung gegenüber der eigenen Religion ausdrücken, um Unparteilichkeit zu garantieren.

Die größte bosniakische Partei, die SDA, ist gegen das sogenannte "Kopftuchverbot" in der Justiz und argumentiert, dies sei eine Verletzung der Religionsfreiheit. Im Februar demonstrierten Frauen in mehreren bosnischen Städten und bezeichneten das Kopftuchtragen als "ihr Recht", "ihre Wahl" und "ihr Leben". Manche meinten, das Verbot sei eine "Attacke auf die Identität von muslimischen Frauen" und würde verhindern, dass sie in der Justiz arbeiten.

Ende Februar verfasste der Rat der Muftis in Sarajevo eine Fatwa, die besagt, dass das Tragen des Hidschab eine religiöse Pflicht für Muslimas sei. Zitiert wird folgende Sure: "O Prophet! Sag deinen Frauen und Töchtern und den gläubigen Frauen, sich zu bedecken." Mohammed habe zudem gesagt, dass bei einer Frau nach der Pubertät nichts mehr sichtbar sein solle außer die Hände und das Gesicht.

Der Rat der Muftis argumentiert ziemlich gefinkelt, dass der Hidschab im weiteren Sinne überhaupt kein "besonderes religiöses Symbol" sei, weil es "integraler Bestandteil der Praxis muslimischer Kleidung" sei, und deshalb würde der Hidschab auch nicht unter die Regelung über das Verbot religiöser Symbole fallen. In einer Antwort an den STANDARD verweist der Hohe Justizrat auf einen Kommentar des UN-Menschenrechtskomitees, wonach zu den religiösen Symbolen auch das Tragen von Kleidung oder einer Kopfbedeckung gehöre. Es gebe aber keine universelle Definition von "religiösen Symbolen".

Internationale rechtliche Praxis

Man habe jedoch die internationale rechtliche Praxis einbezogen und wolle mit den Religionsgruppen zusammenarbeiten. Sowohl in Spanien als auch in Belgien wurden Frauen bereits des Gerichts verwiesen, weil sie sich weigerten, den Hidschab abzulegen. Es handelte sich aber um Parteien und nicht um Angestellte der Justiz. (Adelheid Wölfl, 8.4.2016)