Auch spanische Weinfasshersteller hoffen auf Rückenwind durch ein neues Freihandelsabkommen.

APA

Wien – Es könnte schnell gehen und weitreichende Folgen haben. Das so gut wie fertig verhandelte Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada namens Ceta, das als Blaupause für das noch weit umstrittenere Vertragswerk mit den USA (TTIP) dient, soll vorläufig in Kraft treten, ohne dass die nationalen Parlamente zuvor grünes Licht gegeben haben. Das Wirtschaftsministerium hat laut einem Schreiben, das dem STANDARD vorliegt, nichts dagegen.

"Einer vorläufigen Anwendung (gemeint sind die Ceta-Bestimmungen; Anm.) entsprechend der Kompetenzverteilung könne AT (sprich Österreich) zustimmen", steht in dem Bericht, der die Datumsangabe 16. 3. 2016 trägt und sich auf den EU-Ratsausschuss Handelspolitik bezieht.

Der finale Ceta-Text solle nun rasch in alle Amtssprachen übersetzt und voraussichtlich im Herbst unterzeichnet werden. Ein provisorisches Inkrafttreten werde begrüßt, heißt es zusammenfassend in dem Bericht, der den Briefkopf BMWFW (Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft) trägt und als "nicht zur Veröffentlichung geeignet" bezeichnet wird.

Kursänderung

"Das ist nicht mit uns akkordiert", sagte ein Sprecher von Sozialminister Alois Stöger (SPÖ), dem "Spiegelminister" von Wirtschaftsminister und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP). "Eine offizielle Position Österreichs dazu gibt es erst, wenn die EU-Kommission das endgültige Abkommen dem Rat übermittelt hat", hieß es im Büro von Minister Stöger auf STANDARD-Anfrage.

In Deutschland jedenfalls, wo das Ceta-Abkommen und insbesondere TTIP wie in Österreich kontroversiell wie kaum wo sonst diskutiert wird, hat es eine Kursänderung gegeben. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) ist auf die Linie der EU-Kommission eingeschwenkt, nachdem er noch 2014 ein Inkrafttreten sowohl von Ceta als auch von TTIP von der vorhergehenden Zustimmung der nationalen Parlamente abhängig gemacht hat.

Streit der Juristen

"Die vorläufige Anwendung" entspreche der "üblichen Praxis" und sei "vollständig demokratisch", erklärte das deutsche Wirtschaftsministerium kürzlich in einer Unterrichtung vor dem Deutschen Bundestag. Bis das Abkommen von allen nationalen Parlamenten ratifiziert ist, kann es bis zu vier Jahre dauern.

Unter Juristen ist das geplante Vorgehen jedenfalls umstritten. Es sei "verfassungsrechtlich und demokratiepolitisch unakzeptabel, dass die vorläufige Anwendung eines Abkommens an den Parlamenten vorbei erfolgt", steht beispielsweise in einem Gutachten des Europa- und Völkerrechtlers Wolfgang Weiß von der Universität Speyer.

Die Wirkungen des Abkommens würden bereits eintreten, noch ehe eine Zustimmung der Parlamente hierzu erfolgt sei. Das sei zwar gängige Praxis in der EU, aber die umfangreichen Freihandelsabkommen der neuen Generation, zu denen Ceta und TTIP gehörten, seien "von hoher politischer Bedeutung", stellten die "Handelsbeziehungen auf eine völlig neue Grundlage" und berührten den "Entscheidungsraum des deutschen Gesetzgebers".

Verfassungswidrig

Auch aus österreichischer Perspektive ist die vorläufige Anwendung der Bestimmungen potenziell verfassungswidrig. Das hat beispielsweise der Verfassungsrechtler Heinz Mayer erst vor wenigen Wochen angemerkt. Daran ändert auch nichts, dass vor Inkrafttreten des Abkommens wohl das Europäische Parlament grünes Licht geben muss.

Kritiker wie Greenpeace fürchten, dass Ceta und TTIP soziale und ökologische Standards bedrohen und den Einfluss von Konzernen auf die Politik stärken. (Günther Strobl, 7.4.2016)