Im Lager Vial auf der griechischen Ägäis-Insel Chios hängen Flüchtlinge auf den Zäunen Kleidung zum Trocknen auf. Hier werden Migranten festgehalten, die gemäß dem Abkommen zwischen der EU und der Türkei auf türkischen Boden zurückgebracht werden sollen. Immer wieder gibt es Proteste gegen die Internierung.

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Brüssel/Wien – Die EU-Kommission ist in Sachen Migration und Asylgesetzgebung vorsichtig geworden: Am Mittwoch wird das Kollegium einen lang erwarteten Vorschlag zu einer Neuregelung des Umgangs der EU-Staaten mit Flüchtlingen verabschieden.

Wie ein Sprecher am Dienstag erklärte, werde es kein in allen Details ausgefeiltes Konzept geben. Vielmehr wolle man "politische Optionen" aufzeigen, die dann auf Ebene der EU-Innenminister und des Europaparlaments schrittweise einer Lösung zugeführt werden. Im Kern geht es um eine Reform der Dublin-III-Regeln, in denen die Verfahren und Mindeststandards festgelegt sind. Derzeit liegt die Abwicklung der Asylprozesse ganz in der Hand der Mitgliedstaaten und ihrer Behörden – zuständig sind zuerst jene Länder, wo Zuwanderer zuerst das EU-Territorium betreten.

Den Vorstoß der Kommission hätte es eigentlich schon vor vier Wochen geben sollen. Das "Dublin-System" war seit September mit dem "Durchwinken" aller illegalen Migranten von Griechenland aus zusammengebrochen. Weil Anfang März durch die Grenzschließungen auf der Balkanroute ziemlich viel Druck und Streit in die Sache gekommen war und zur Verabschiedung des EU-Türkei-Pakts ein eigener EU-Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs vor zwei Wochen eingeschoben worden war, hatte das Team von Präsident Jean-Claude Juncker die Initiative zurückgezogen.

Quotensystem gescheitert

Ein Mitgrund für diese Maßnahmen ist auch die Tatsache, dass die EU-Zentralbehörde bei ihrem Versuch, mithilfe eines "Quotensystems" eine "faire Umverteilung" von Flüchtlingen auf die Mitgliedstaaten zu erreichen, vorläufig gescheitert ist. Von den seit September 2015 beschlossenen 160.000 Umsiedelungen aus Griechenland wurden knapp 1.000 durchgeführt.

Daher wählt die Kommission nun nach STANDARD-Informationen einen anderen Ansatz: Sie schlägt den Regierungen nur mehrere "Optionen" vor.

Eine "maximale Variante" sieht vor, dass das Asylwesen stark zentralisiert wird und dass es zum Ausbau der EU-weiten Asylbehörde (EASO) kommt, die von Brüssel aus das Flüchtlingswesen abwickelt, die also Entscheidungsbefugnisse bekommt und Asylwerber in der Union verteilt. Alternativ dazu – und das ist viel wahrscheinlicher – könnte es aber auch so sein, dass man sich zwar zu Detailreformen der geltenden Dublin-Regeln bekennt, die Abwicklung aber weiterhin in nationaler Kompetenz verbleibt. Eine Lösung für die aktuelle Flüchtlingskrise ist kaum zu erwarten. Zurückhaltung zeigt sich auch in den Reaktionen auf die Pläne, die seit Wochen durchgesickert sind. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner ist grundsätzlich für gemeinsame Regelungen, aber das alles sei erst im Detail noch zu erarbeiten, sagte sie. Die Grünen und Neos begrüßen die Pläne der Kommission, die FPÖ lehnt sie als Versuch der Einschränkung nationaler Zuständigkeiten ab.

Merkel wieder in der Türkei

Nach ersten Abschiebungen von irregulären Migranten von Griechenland in die Türkei zeigen sich die EU-Spitzen entschlossen, den Pakt mit der Regierung in Ankara mit Hochdruck umzusetzen. Ziel ist es, die Zuwanderung von Migranten über die Ägäis auf illegalem Weg zu beenden, das Geschäft des Schlepperwesens unmöglich zu machen. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel setzt dem nun einen symbolischen Akt entgegen: Sie wird am 16. April in die Türkei reisen und mit ihrem Amtskollegen Ahmet Davutoğlu ein mit EU-Mitteln eingerichtetes Flüchtlingszentrum in Kilis an der Grenze zu Syrien eröffnen. Auch andere EU-Spitzen werden erwartet. In Kilis kommen die Syrer auf ihrer Flucht zuerst an, es gibt mehr Flüchtlinge in der Stadt als Einheimische. (Thomas Mayer, 5.4.2016)