Theaterkunst, die mit "neuen Formen" spielt: Die "Möwe" (Julia Schranz) und ihr Dichter Kostja (Raphael Nicholas).

Foto: Anna Stöcher

Wien – Das Theater des in Österreich lebenden Litauers Arturas Valudskis trägt eine ganz eigene Handschrift. In ihr erkennt man die Vorliebe für die Magie des absurden Theaters, für wortlose Körperkunst, für tragikomische Momente. Im Theater an der Gumpendorfer Straße (TAG) hat Arturas Valudskis, dessen Name selbst wie eine Erfindung klingt, 2013 eine fabelhafte Kurzversion von Bulgakows Der Meister und Margarita vorgestellt. Nun rückt der Regisseur mit dem ihm treuen Schauspielerkernteam samt Kollegen aus dem TAG-Ensemble sowie Claudia Kottal zu Anton Tschechow weiter und präsentiert eine Neufassung der Möwe.

Das Spiel: Die Möwe nennt er sein frei nach dem Künstlerdrama von 1895 benanntes Stück. Es ist auf ein fünfköpfiges Figurenpersonal geschrumpft, das verwaiste Dialoge übernimmt.

Es beginnt mit der Darbietung Ninas (Julia Schranz) als Newcomer-Schauspielerin im Garten des Landsitzes. Auf einen mit Kreide gezogenen Kreis – gemeint ist gewiss ein Weltenrund – geht die Poesie des elenden Jungdichters Kostja (Raphael Nicholas) wie trauriger Regen nieder. Die versammelte Familie vermag die Schmach über derlei "dekadente" Kunst nicht zu verbergen: Mutter und Starschauspielerin Arkadina (Michaela Kaspar) lacht sich krumm, ihr Gefährte Trigorin (Markus Kofler) grollt stets nur in seinen Bart hinein, den er, genau besehen, gar nicht hat.

Das dabei elegant über die Arme und den Nacken Ninas vom einen Bühnenrand bis zum anderen als erhabene Flügel (einer Möwe) gespannte weiße Stofftuch wird Kostja später symbolträchtig als dicker Kopfverband dienen. Sein Selbstmordversuch schlug fehl.

Dialoge werden parallel ineinander geschnitten, Sätze als Grundmotive der Charaktere zu Mantras herausgefiltert. Vieles in dieser ausgesparten Textfassung Valudskis' erzählt sich über die Körper und ihre Bewegungsnöte und -freuden. Er spitzt Figuren aber auch zu: So gemahnt die Selbsterklärung Trigorins als apathischer Tristesse-Dichter fast an Houellebecq'sche Trostlosigkeit. Wo Nina die Sonne anhimmelt, erkennt er nur einen blöden Scheinwerfer.

Nicht zuletzt erzählt sich diese Möwe über entwaffnend einfache Illusionskunst: Knallt der Klavierdeckel, ist es in Wahrheit ein Gewehrschuss. Setzt sich der Zug nach Moskau in Bewegung, hebt das Ensemble zu einer intensiven Geräuschpantomime an. Man kann sich dieser filigranen Kunst nur schwer entziehen. (Margarete Affenzeller, 5.4.2016)