Linz im Frühsommer also. Ein mehr als nettes Wochenende: Mit Freunden, Pizza und Eis. Und einem bisserl Laufen – obwohl das bis zuletzt auf der Kippe gestanden hatte: Eigentlich war Linz als Testlauf in meinen Laufkalender gerutscht: Ein Halbmarathon am Sonntag vor dem Wiener Stadtmarathon, dem VCM. Beides sollte schnell werden. Sollte: Denn dann schoss mir zuerst der – man möchte fast sagen – jährliche grippale Spätwinterinfekt die für den flotten Marathon nicht ganz unwichtigen Trainingsumfänge ab. Und beim Wiedereinstieg übertrieb ich es. Prompt meldete sich eine alte Verletzung samt Nebengeräuschen wieder: Von der Volldistanz in Wien hatte ich mich eh schon verabschiedet – und wenn schon das dem-Bus-Nachlaufen schmerzt, stellt sich die Frage, ob es sich auszahlt, zum Zuschauen nach Oberösterreich zu fahren.

Foto: Thomas Rottenberg

Zumindest theoretisch. Weil es beim Laufen in meiner Liga nicht um Zeiten und Leistung geht. Sondern um etwas anderes: Die Freude an der Bewegung. Im Freien. In wechselnder Umgebung – und in Gesellschaft. Nicht, dass Wolfgang (der Herr rechts) mich gebraucht hätte, um die Staffeln seiner Schule – dem Gymnasium Ort Gmunden – über die Strecke zu bringen. Nicht, dass ich mit ihm nur annähernd Schritt halten könnte, wenn er ein bisserl Gas gibt.

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Aber um mit meinen beiden "ältesten" Laufbuddies Helena und Cornelia wieder mal Wettkampfluft schnuppern zu wollen, brauche ich weit weniger Gründe. Schließlich hat Helena es 2014, nach dem New York-Marathon, auf den Punkt gebracht: Dass wir uns quälen können, hätten wir hiermit bewiesen: "Jetzt kommen nur noch schöne Läufe." Die, bei denen es um nichts mehr geht. Außer um die Freude an der Sache. Linz also.

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Einzige Vorgabe: gemütlich. Beim Start ließen wir drei Viertel der – laut Veranstalter – über 20.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer ziehen, bevor wir uns überhaupt auf die gesperrte Autobahn stellten. Zum einen, weil wir nicht in Versuchung gebracht werden wollten, uns an irgendeine flotte Partie anzuhängen. Zum anderen, weil wir – bis auf Wolfgang – alle nicht ganz fit sind. Und man als langsame Gruppe im vorderen Feld den Schnelleren einfach nur im Weg ist. Das muss nicht sein.

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Außerdem hat man bei einem entspannten Longjog viel mehr Zeit, sich dem Drumherum zu widmen: Der Linzer Marathon wurde unlängst in einem Laufmagazin zum beliebtesten großen Lauf Österreichs gewählt. Auf den Streckenplänen waren Volksfeste, "Musikmeilen" und andere Belustigungen eingezeichnet. Entlang der Strecke, hieß es, sei Dauerparty.

Vermutlich stimmt das eh. Bloß: Ich bin verwöhnt. Berlin, New York, Addis Abbeba… Trotzdem: Leute, die sich wie diese Herren die Mühe machen, verkleidet UND mit einer Kiste voll Proviant/ Ballast 21 Kilometer zu laufen, verdienen Applaus. Noch dazu, wo sie ihren "Zaubertrank" mit allen teilten, die bedürftig wirkten.

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Noch etwas: Linz ist Heimat. Nicht für mich, aber für Cornelia. Dass sie in der Stahlstadt aufgewachsen und zur Schule gegangen ist, hatten wir gewusst. Aber Straßen und Viertel der eigenen Kindheit und Schulzeit so wieder zu erleben, hat eine ganz andere Qualität als ein Wochenend-Familienbesuch: Laufen ist intensiver. Unmittelbarer. So hat man als Kind begonnen, die Welt zu erforschen und zu erobern. Und welche Welt war das? Genau: Die vor der Haustür. Versuchen Sie es selbst. Und fühlen Sie, was passiert, wenn plötzlich Ihre Oma am Streckenrand steht. Wartet, winkt und lacht. So wie damals, als Sie von der Schule heim kamen: Schöner kann man nicht nach Hause kommen.

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Stadtläufe haben ihre eigenen Choreographien. Überall. Das mit dem "Abklatschen" ist ein fixer Bestandteil davon. Doch während die Erwachsenen – in Österreich schneller als anderswo – rasch die Lust am Anfeuern, Mitjubeln und Klatschen verlieren, zeigen Kinder endlose Ausdauer: Wir waren im hintersten Drittel des Feldes – aber sobald wir uns auf Armeslänge näherten, kamen die Hände: Patschpatschpatsch. Sinnbefreit – aber fein. Und nicht nur den Kindern macht es Spaß. Warum auch immer.

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Ebenso fixer Bestandteil jedes Laufes sind die Schilder. Auch hier gibt es längst "Standards": "Bier in 12 Kilometern" gehört da ebenso dazu, wie mein persönlicher Lieblingsspruch: "Wenn ein Marathon einfach wäre, würde man Fußball dazu sagen". Freilich: Nicht jeder Spruch passt immer. Dieser hier etwa: In meinen Augen funktioniert er bei Kilometer acht nicht ganz so gut, wie 300 Meter vor dem Ziel. Aber: Es geht um die Geste.

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Ich bin kein großer Linz-Experte. Kenne die Stadt nur oberflächlich. Und ich gebe offen zu: Wirklich "geflasht" hat mich Linz nie. Ja: Mit den Künstlern rund um den rollstuhlfahrenden Punkrocker "Krüppelschlag" am Schrottplatz der Voest unterwegs zu sein, zwischen Kapu und alter Stadtwerkstadt herum zu ziehen, hatte in meiner Jugend nach Abenteuer gerochen. Aber sonst? Das Linzer Stadtbild hatte ich nie als wirklich anregend erlebt. Umso gespannter war ich, wie ich die Stadt laufend sehen würde.

Darum war ich auch nicht enttäuscht, dass da – zumindest am linken Donauufer – wenig kam: Es gibt nicht viele Bauten in Österreich, die ich noch hässlicher finde als das Rathaus auf der Urfahrer Seite der Donau. Aber darum ging es nicht: Die Strecke war super zu belaufen. Die Stimmung am Streckenrand fein. Wir genossen es, stressfrei zu traben: Mehr kann und soll man von einem Frühlingssonntag mit Freunden gar nicht verlangen.

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Außerdem darf und will ich nicht ungerecht sein: Natürlich hat auch Linz Punkte und Ecken, an denen es sich auszahlt, stehen zu bleiben und den Blick schweifen zu lassen. Auf der Nibelungenbrücke etwa. Ars-Gebäude und Lentos zeigen ein anderes Linz-Bild. Aber nicht nur das mag ich: Ich könnte der Donau stundenlang beim Fließen zusehen. Nicht nur in der Wachau. Nicht nur an der Schlögener Schlinge. Nicht nur bei Hainburg. Überall. Auch hier.

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Wobei das lange Aufs-Wasser-Gaffen bedeutet hätte, dass ich meine Freunde aus den Augen verliere: Wir waren zwar langsam, aber eben doch unterwegs. Und auch wenn wir nicht im Traum daran dachten, uns zu beeilen und wir gemütlich bummelten und blödelten: Den ganzen Tag für die 21 Kilometer zu brauchen, wäre dann doch eine Spur zu entspannt gewesen. Da kann man sich gleich in ein Ufercafé setzen.

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Dass wir einfach nur locker joggten, stimmt im Übrigen doch nicht für uns alle: Wir hatten nämlich auch eine Mission. Denn Bernadette, die dritte Dame in unserer kleinen Gruppe, lief hier ihren ersten "großen" Lauf. Also ihren ersten Halbmarathon. Und auch wenn wir anderen mit dieser Distanz schon mehrfach Kontakt hatten, wissen wir genau deshalb eines: 21 Kilometer verdienen Respekt. Immer. Insbesondere auch jemand, der oder die sie noch nie gelaufen ist. Das ist dann kein Spaziergang. Und zumindest beim ersten Mal ist das Wort "Halbmarathon" auch eine Hürde, über die man sich erst mal drüber trauen muss: Da nicht alleine unterwegs zu sein, kann helfen. "Wir bringen dich da durch" ist das "Wir holen dich da raus" der Läufer. Und der Läuferinnen.

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Während des Laufes fiel es uns gar nicht auf. Bis zur Hälfte zumindest. Aber: Auch Linz hat seine "Bugs". Hier im Bild ist einer. An der ersten Staffel-Übergabe, ziemlich genau nach der Viertelmarathondistanz, bildeten nicht nur die B-Läufer ein Spalier, das mit dem Wort "eng" nur unzureichend beschrieben ist: Auch die Absperrungen bildeten einen Flaschnenhals, der an seiner schmalsten Stelle (hier im Bild) nur etwa zweieinhalb Meter maß.

So etwas ist unnötig. Und lästig. Und, wie wir nachher erfuhren, nur eine von etlichen gravierenden Unzulänglichkeiten, die sich Veranstalter und Zeitnehmung leisteten: So begann die vermessene Strecke der Halb- und Vollmarathonläufer erst ein paar hundert Meter nach dem Start – ohne dass das auch nur annähernd ausreichend kommuniziert worden wäre.

Foto: Thomas Rottenberg

Für mich und meine Gang war das egal, wir liefen ja nicht auf Zeit. Aber damit ist man bei einem Wettkampf in der Regel die Ausnahme. Außerdem: Pannen- und Engstellen gab es noch andere: Das Ziel, zum Beispiel, war so schmal, dass es phasenweise zu Staus vor dem Ziel kam. Unglaublich, aber von vielen Läuferinnen und Läufern bestätigt: Man musste zeitweise Schlange stehen, um über die Ziellinie zu kommen.

Wobei das ohnehin wurscht war: Etliche Läuferinnen und Läufer fanden ihre Zeiten nämlich gar nicht in der Wertung. Die groteske Antwort der Zeitnehmer von "Maxfun" auf Beschwerden: Man möge bitte selbst- und handgestoppte Zeiten einschicken. Nicht bös sein, aber: Das ist Chuzpe. Und mehr als nur ein bisserl unprofessionell.

Foto: Thomas Rottenberg

Wohlgemerkt: Von all diesen Peinlichkeiten (bis auf die "falsche" Streckenlänge) bekamen wir unterwegs nichts mit. Bei Kilometer zehn holten wir zwei von Wolfgangs Schülern ein. Sie waren nicht als Staffel- sondern als Halbmarathonläufer ins Rennen gegangen und hatten zu kämpfen: Das Haushalten mit eigenen Kräften ist etwas, was man meist erst mit dem Alter zu lernen beginnt. Aber keiner der Beiden dachte daran, das Handtuch zu werfen. (Und: die Burschen kamen auch durch).

Interessant ist aber auch: Während der Start von Schul-Staffeln über die Aktion "Schule läuft" finanziert wurde, war das – qua Zweckbindung der Fördergelder – für Halbmarathonläufer nicht möglich. "Aber der Veranstalter war da extrem entgegenkommend: Die haben den Jugendlichen einen Super-Spezialtarif gemacht."

Foto: Thomas Rottenberg

Die Schüler hatten wir bald verloren. Dennoch wuchs unsere kleine Gruppe: Die Dame mit dem weißen Shirt schloss sich uns, nachdem sie ihre Begleiter verloren hatte, an. Die – ein paar oberösterreichische Trail- und Ultraläufer – waren ebenso wie wir plaudernd und scherzend lange in unserer Nähe gewesen, bis einer Probleme bekam. Da bei dem Kumpel zu bleiben, war selbstverständlich: "You´ll never walk alone" gilt auch beim Laufen. Michaela hatte diesen Moment allerdings verpasst oder übersehen. Das kann – etwa wenn man eine Pinkelpause macht oder an einer Labungsstelle kurz unaufmerksam ist – leicht passieren. Jedenfalls blieb sie dann bis kurz vor dem Ziel bei uns.

Foto: Thomas Rottenberg

An dieser Stelle will ich mich bei jenen Läuferinnen und Läufern entschuldigen, hinter, vor und zwischen denen wir unterwegs waren. Viele von ihnen lachten und blödelten mit uns mit. Aber vermutlich wünschten uns mindestens ebensoviele auch zum Teufel: Wenn man selbst "auf Anschlag" läuft – egal mit welchem Tempo – kann einem eine Truppe von Leuten, die sich da offensichtlich nicht einmal annähernd an ihrer Leistungsgrenze bewegen und außer Blödsinn nur Blödsinn im Kopf haben, vermutlich reichlich auf den Zeiger gehen.

Darum: Tut uns leid. Wir wollten niemanden ärgern oder düpieren. Und schon gar nicht wollten wir "Überlegenheit" demonstrieren. Das wäre nämlich nicht nur unsportlich und fies, sondern auch grotesk.

Foto: Thomas Rottenberg

…schließlich wissen wir gut genug, dass wir allesamt gerade einmal mittelgute Hobbyläufer sind: Schnell schaut anders aus. Und ist anders: Als wir etwa bei Kilometer 18 waren, "schnupfte" uns der spätere Sieger des Marathons. Der Kenianer Edwin Koech lief die 42 Kilometer in 2:09:06. Er zog an uns vorbei wie ein Schnellzug an auf der Parkbank sitzenden Pensionisten. DAS ist schnell.

Foto: Thomas Rottenberg

Dafür hatten wir ein bisserl mehr Spaß: Ab Kilometer 11 war es richtig sommerlich warm. Und irgendwann wurde da in der Gruppe der Wunsch nach Eis laut. Blöderweise ist die Zahl der Eissalons in Linz entlang der Marathonstrecke enden wollend, glücklicherweise aber nicht gleich Null: Rund einen Kilometer vor dem Ziel entdeckte Helena eine Gelateria, bog kurz von der Strecke ab und holte uns ("Ich weiß nicht, ob mir wirklich alle geglaubt haben, dass ich zurück ins Rennen muss – aber zum Vordrängeln hat es gereicht.") mit je einem Stanizel Bananen- und Pistazieneis bald wieder ein. Bernadette kämpfte da schon. Aber sie hielt sich tapfer: "You´ll never walk alone."

Foto: Thomas Rottenberg

Der Zucker – aber vor allem das Johlen und Jubeln des Publikums – gaben aber nicht nur ihr, sondern uns allen auf den letzten paar hundert Metern noch einen ordentlichen Energieschub. Bananeneis ist zwar nicht unbedingt meine Lieblingssorte – aber so genau nimmt man es nach 21 Kilometern dann auch nicht mehr.

Foto: Thomas Rottenberg

Fazit? Feiner Lauf. Für alle: Wolfgangs Schülerinnen und Schüler waren alle wohlbehalten und sicher angekommen. Bernadette hatte ihren ersten Halbmarathon erfolgreich gefinished. Helena hatte mit praktisch Null Training ihren Probelauf für den VCM absolviert, Cornelia trotz starken Hustens auf ihrer Heimstrecke nicht nur Jugenderinnerungen aufgefrischt, sondern auch liebe Menschen getroffen.

Und ich? Ich hatte einen tollen Tag mit wundervollen Freunden – die mich komplett vergessen lassen hatten, dass mir eine alte Verletzung so weh tut, dass ich nicht einmal dem Bus nachlaufen kann.

Foto: Thomas Rottenberg

Meine Zeit? Vollkommen egal. Meine Uhr sagt 2:15:45. Strava rechnete Foto- und andere Stehzeiten raus – und sagt zwei Stunden zwölf. Laut der offiziellen Zeitnehmung sind es 2:13:irgendwas. Mich kratzt keine der Messungen.

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Noch ein Nachtrag: Als ich aus der Finisherzone in die "Echtwelt" der Linzer Altstadt trat, trottete ich gedankenverloren Richtung Hotel. Mitten auf der Straße. So wie alle. Passanten ebenso wie Nicht-mehr-Läufer.

Plötzlich stand meine Freundin neben mir. Sie hatte hier auf mich gewartet. Und war sauer: "Das ist gegenüber denen, die noch laufen, unpackbar respektlos!" Verständnislos glotze ich sie an. "Siehst du nicht, dass du mitten auf der Laufstrecke gehst?" Nein, ich hatte es nicht gesehen. Wie auch? Was aussah, wie eine Fußgängerzone am Einkaufssamstag, war tatsächlich die Laufstrecke. Nur kratzte das niemanden: Von Absperrungen oder Streckenposten war weit und breit nichts zu sehen.

Wo man keine halbe Stunde zuvor noch Edwin Koech angefeuert hatte, wurde jetzt flaniert – dabei waren noch nicht einmal jene Marathonläufer durchgekommen, die mit Zeiten knapp unter drei Stunden ins Ziel kommen würden.

Es stimmt: Das ist respektlos. Auch vom Veranstalter: Dem sollte es nicht nur um die Elite gehen – sondern um jeden und jede, die sich auf den Weg machen. Und zwar bis zum Schluss. (Thomas Rottenberg, 7.4.2016)


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Foto: Uschi Braun