Produzent "Sascha" Joseph Kolowrat-Krakowsky besieht die Früchte seiner filmischen Arbeit (1916).

Foto: Österreichisches Theatermuseum

Eine Illustration der Wiener Astoriafilm (ca. 1920).

Foto: Sammlung Peter Payer

Wie nur wenig Bereiche spiegelt die Geschichte der Filmerzeugung den rasanten technischen Wandel des 20. Jahrhunderts wider. Dass beispielsweise Wien zu Beginn der 1920er-Jahre eine auch im internationalen Vergleich durchaus beachtliche Produktionsstätte für – damals noch stumme – Laufbilder war, ist heute nur mehr wenigen bewusst. 25 Unternehmen stellten jährlich an die 75 abendfüllende Spielfilme und etwa 60 Kurzfilme her! Die Blütezeit dauerte allerdings nur kurz, denn schon bald drangen vor allem amerikanische Filme auf den Markt, was die Konjunktur der heimischen Filmindustrie deutlich trübte.

Zwei ihrer einst innovativsten Zentren befanden sich im Arbeiterbezirk Wien-Brigittenau. Hier gab es aufgrund der noch relativ geringen Verbauungsdichte genügend Flächen für Freilichtateliers ebenso wie zahlreiche Industrieanlagen, die zu "Filmfabriken" umfunktioniert werden konnten.

Pionier war Graf Alexander Joseph Kolowrat-Krakowsky (1886-1927), von seinen Freunden kurz "Sascha" genannt. Sein bereits im Jugendalter entfachtes Interesse für neue technische Errungenschaften ließ ihn zum begeisterten Autofahrer und Flugzeugpiloten werden, und als er 1909 in Paris erstmals Filmaufnahmen sah, beschloss er, künftig selbst Aufnahmen zu machen und Filme zu produzieren. 1911 eröffnete er auf dem elterlichen Schloss Groß-Meierhöfen im böhmischen Pfraumberg sein erstes Laboratorium. Die Sascha-Filmfabrik war geboren. In den Wiener Kinos erschien der erste Sascha-Film am 19. Jänner 1912 (Die Gewinnung des Eisens am steirischen Erzberg in Eisenerz). Um künftig nicht nur Kurz-, sondern auch Spielfilme produzieren zu können, begab sich Kolowrat nach Wien. Für die Außenaufnahmen mietete er 1912 eine kleine Freilichtbühne in der Brigittenau, im Hof der alten Gaswerke in der Engerthstraße. Hier und in einem Fotoatelier in der Biberstraße entstanden die ersten Spielfilme der Sascha.

Da sich die weite Entfernung von Labor und Ateliers zunehmend als unpraktisch erwies, übersiedelte Kolowrat zur Gänze nach Wien. Eine in der Pappenheimgasse 2 / Ecke Treustraße gelegene ehemalige Senffabrik wurde umgebaut und mit neuesten Geräten bestückt. Am 1. November 1913 nahm hier eine der damals modernsten Stummfilmproduktionsstätten Europas ihren Betrieb auf, ein Unternehmen das – laut einer Annonce in der Kinematographischen Rundschau - "billig, rasch und sauber kinematographische Aufnahmen jeder Art, Entwickeln, Kopieren, Perforieren, Viragieren sowie Titelanfertigung in sämtlichen Sprachen" durchführte. Für die österreichische Filmindustrie war das ein bedeutender Schritt, hatte es doch bis dahin nur eine sehr spärliche heimische Filmproduktion gegeben.

"Kokl als Hausherr"

Kolowrat versprach seinem Publikum jede Woche einen neuen Film. Unter der Leitung des technischen Direktors Josef Zeitlinger, den er ebenso wie den Laborleiter Oskar Berka und mehrere andere Mitarbeiter aus Pfraumberg mitgenommen hatte, verließen die ersten Erzeugnisse die Fabrik: Von Moltarisio nach Como (Reisebild vom Comosee), Kokl als Hausherr (Posse von Ernst Marischka) oder Durch Verrat zum Sieg (Liebesgeschichte aus dem Riesengebirge).

Der Erste Weltkrieg brachte für Kolowrats kinematografische Ambitionen einen bedeutenden Aufschwung, erhielt er doch als einer der wenigen die Erlaubnis, an den Kriegsschauplätzen zu drehen. Gemeinsam mit später so berühmten Regisseuren und Kameraleuten wie Gustav Ucicky, Karl Hartl oder Hans Theyer produzierte man die Sascha-Woche, deren neueste – und stets zensurierte – Ausgabe allwöchentlich in den Kinos lief. 1916 wurde die Sascha-Woche mit ihrem deutschen Gegenstück, der Meßter-Woche, zusammengelegt, und Kolowrat zog seine Firma unter Einbeziehung der Filmverleihanstalt Philipp und Pressburger mit der Wien-Niederlassung von Meßter zur Sascha-Meßter-Filmgesellschaft zusammen. Aus ihr wurde zwei Jahre später die Sascha-Filmindustrie A.G., eine der größten Filmproduktions- und Verleihfabriken Österreichs.

Da die Ateliers in der Biberstraße und Pappenheimgasse für Dreharbeiten zu klein geworden waren, hatte Kolowrat im Jahr 1916 in Sievering ein viel größeres Filmatelier errichten lassen, ein Hangar wurde aus Düsseldorf herangeschafft und zum ersten freistehenden Atelier Österreichs umgerüstet. Der Betrieb in der Brigittenau lief reduziert weiter. Später so berühmte Filme wie Der junge Medardus, Sodom und Gomorrha, Die Pratermizzi oder Café Electric wurden in der Pappenheimgasse nur mehr kopiert und eingefärbt.

Rund dreißig Personen waren hier weiterhin beschäftigt. Als Kopieranstalt war die Filmfabrik in der Pappenheimgasse auch nach dem Tod von Kolowrat – er starb 1927 im Alter von nur 41 Jahren – bis zum Jahre 1933 in Betrieb.

Noch Jahrzehnte später erinnerte sich der Heimatforscher Heinrich Zwicker an das ungewöhnliche Geschehen in dieser Anlage: "Für uns Buben war es ein geheimnisvoller Ort. Wenn wir zu den Fenstern hinaufblickten, konnten wir die großen hölzernen Trommeln, auf die die frischentwickelten Filmbänder zum Trocknen aufgespannt waren, sich drehen sehen."

Bereits im November 1918 war nicht weit davon entfernt ein zweites, modernst ausgestattetes Filmunternehmen gegründet worden: die Astoria-Filmfabrik mit Sitz in der Marchfeldstraße 18 / Ecke Vorgartenstraße. Direktor war Otto Löwenstein; als Regisseure konnten Karl Gerhard und Carl Wilhelm, als Dramaturg Emil Kolberg gewonnen werden; als künstlerischer Beirat fungierte Ladislaus Tuszynski, akademischer Maler und allseits bekannter Illustrator der Kronen Zeitung.

Auf dem großen Fabriksgelände waren je ein Glas- und Frei- lichtatelier, eine Kopieranstalt, eine Malerwerkstätte, eine Titeldruckerei, eine Tischlerei, eine Schlosserei, ein Montierraum, Dunkelkammern sowie diverse Magazine und Büroräume untergebracht. Über den weiten Hof liefen die Schienen einer Schmalspurbahn, mit der die notwendigen Materialien herangeschafft werden konnten.

Beeindruckend war, so ein filmbegeisterter Berichterstatter, der riesige, modernst ausgestattete Aufnahmesaal: mit großen Lampen, die ausreichende Lichtverhältnisse garantierten; mit Kulissen, die nicht wie üblich aus billigem Pappmaterial, sondern aus Holz hergestellt waren. Säulen, Torbögen, Türen, Fenster mit echten Glasscheiben, alles war solide und auf größtmögliche Illusionswirkung abzielend gebaut. Auch die Garderobenräume für die Schauspieler waren bemerkenswert. Sie bestanden aus bequemen Einzelkabinen für die Solisten und einem großen Zimmer mit langen Tischen für die Statisten.

Bis zum Sommer 1919 wurden hier bereits drei größere Filme produziert: Haus Nr. 37 (nach dem Roman von Karl Adolf), Das Geheimnis von Mayerling sowie Der letzte Knopf (eine Tragödie in drei Akten von Julius Ludassy). Alle waren ein Publikumserfolg. In der Astoria war man stolz darauf, Filme zu machen, "von denen jeder für den Kinobesitzer das sichere Geschäft bedeutet".

"Jagd nach dem Kopfe"

Auch in den folgenden Jahren verließen weitere Kassenschlager die Astoria, die – wie es hieß – "in ihrer Gesamtanlage großartigste und in Wien jetzt wohl einzig dastehende Filmstadt". Eine cineastische Novität waren die erstmals in Spielfilmlänge produzierten Trickfilme, die "als spezielle Filmgattung in großzügiger Form auf den internationalen Markt" gebracht wurden. Zusätzlich zu Tuszynski engagierte man Peter Eng, den langjähriger Mitarbeiter der Satirezeitschrift Muskete. Die Erzeugnisse der beiden fanden größten Anklang beim Publikum, etwa die Detektivgrotesken Die Jagd nach dem Kopfe und Amaranta oder der Werbefilm Die Entdeckung Wiens am Nordpol. Die Astoria war damit zur führenden Trickfilmproduktionsfirma Österreichs avanciert.

Im Jahre 1923 wurde sie als eigenständige Firma aufgelöst und in die Filmwerke A.G. eingegliedert, die das Gelände künftig ausschließlich für Dreharbeiten nutzte (und bis etwa 1926 bestand).

Heute gibt es von den beiden einst so berühmten Produktionsstätten keine Überreste mehr. An ihrer Stelle stehen moderne Wohnanlagen, lediglich in der Pappenheimgasse bewahrt eine Gedenktafel die Erinnerung an die schillernde Traumfabrik in der Vorstadt. (Peter Payer, Album, 2.4.2016)