Martin Lohmann: "Unterstellt wird , dass man selbst sicher sein kann, kein Opfer eines Anschlags zu werden. Paris und Brüssel haben gezeigt, dass dem nicht so ist."

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STANDARD: Es scheint, als ob wir es, von kurzen Auszeiten abgesehen, nur noch mit Krisen, Krieg und Katastrophen zu tun haben.

Lohmann: Wir hatten ähnliche Situationen immer wieder in Europa. Terroristische Anschläge gab es gehäuft in den 1970er- und 1980er-Jahren – in Deutschland die Rote Armee Fraktion, in Irland die IRA, in Spanien die Eta. 1980 ist in Bologna der Bahnhof in die Luft geflogen. Was wir jetzt sehen, ist gewissermaßen eine Rückkehr zur früheren Normalität des Terrors.

STANDARD: Wie wirkt sich das auf die Lust am Reisen aus?

Lohmann: Unsere Indikatoren zeigen eine sehr stabile Situation, die Urlaubslust zumindest der Deutschen ist kaum gebremst. Das widerspricht aber den Beobachtungen der Reiseveranstalter und Reisebüros, die eine Zurückhaltung insbesondere bei Pauschalreisen in den Mittelmeerraum beklagen.

STANDARD: Vogelgrippe, Zika-Virus, Schweinepest, dazu Naturkatastrophen, Flugzeugabstürze, Bahn-Crashs, Busunglücke, von Terroranschlägen ganz zu schweigen. Die Reiselust bremst das nicht?

Lohmann: In der Vergangenheit nicht. 2015 war ein Reisejahr der Deutschen wie aus dem Bilderbuch, obwohl es den Absturz der Germanwings-Maschine gab und eine Serie von Terroranschlägen. Man ist in Sorge um den Zustand der Welt, unternimmt dann, nicht in jedem Fall wie gewohnt, aber doch Urlaubsreisen.

STANDARD: Sind heutige Touristen im Umgang mit Krisen erfahrener?

Lohmann: Nein. Wir sind deutlich besser und viel schneller informiert, wenn etwas passiert. Das steigert vielleicht auch die Sorge. Von einem Anschlag in Nordirland erfuhr man früher erst am nächsten Tag in der Zeitung. Heute bekommt man das über soziale Netzwerke unmittelbar mit. Insofern sind wir unruhiger als vor 20 Jahren, aber nicht erfahrener.

STANDARD: Wird um Krisenländer ein Bogen gemacht.

Lohmann: Ja, in der Regel ist das zeitlich und räumlich begrenzt. Die Erfahrung zeigt, dass der Tourismus in davon betroffenen Regionen mehrere Monate deutlich unter das vorherige Niveau sinkt. Der Bogen wird in vielen Fällen aber auch zwangsläufig gemacht.

STANDARD: Inwiefern?

Lohmann: Weil zum Beispiel Reedereien Schiffe aus dem Mittelmeer in die Ostsee umdirigieren. Wenn jetzt jemand eine Mittelmeerkreuzfahrt machen möchte, kann er sich auf den Kopf stellen, das Schiff fährt ab Kiel und bleibt in der Ostsee. Es ist also nicht nur der Kunde, der einen Bogen macht, sondern vor ihm macht das noch der Reiseveranstalter.

STANDARD: Österreichische Touristiker machen sich Hoffnung, dass das gesteigerte Sicherheitsbedürfnis den Inlandstourismus befördern könnte. Zu Recht?

Lohmann: Unterstellt wird dabei, dass man selbst sicher sein kann, kein Opfer eines Anschlags zu werden. Paris und Brüssel haben gezeigt, dass dem nicht so ist. Die zweite Hürde ist, dass jemand, der Sonne, Strand und Meer liebt und bisher in der Türkei war, in Österreich nichts Gleichwertiges findet. Die Hoffnung stützt sich folglich auf multioptionale Touristen, die vieles schön finden, etwa auch einen Bergurlaub in Österreich.

STANDARD: Befördert die Situation nicht ein Biedermeierverhalten – zurück in die eigenen vier Wände, Urlaub auf Balkonien oder im Garten hinterm Haus?

Lohmann: Urlaub daheim, ohne zu verreisen, widerspricht zumindest in Deutschland den Gewohnheiten. Das wäre wie zu Weihnachten auf den Tannenbaum verzichten. Wenn man reist und diese biedermeierische Gesinnung hat, wird man eher in die Nähe schweifen. Das ist ein Trend, den wir unabhängig von den wirtschaftlichen und politischen Ereignissen schon lange Zeit beobachten. Gleichzeitig gibt es aber auch einen Trend zu mehr Fernreisen.

STANDARD: Wie lange dauert es in der Regel, bis sich eine Region oder ein Land von den Folgen eines Terroranschlags touristisch erholt?

Lohmann: Das hängt davon ab. Bleibt es ein einmaliges Ereignis wie in Paris oder Brüssel, kann sich der Städtetourismus dorthin schnell wieder erholen. Gibt es wie in Ägypten oder Tunesien über Jahre hinweg unruhige Verhältnisse, Aufstände und Anschläge, drückt das auf das Image. Das Land wird sich zwar irgendwann davon erholen, aber nicht rasch. Zusätzlich hängt es davon ab, wie sehr Urlaubsmotive betroffen sind. Bei einer Algenpest wie Anfang der 1990er-Jahre in Italien kann man nicht mehr baden, es stinkt am Strand. Wäre das nicht weggeräumt worden, wäre der Adria-Tourismus lange beschädigt geblieben. (Günther Strobl, 31.3.2016)