Bernhard Eisel: "Die Motorradfahrer stehen mit einem Pfeiferl vor einer Verkehrsinsel. Links und rechts schießen 200 Mann mit einem irren Tempo an ihnen vorbei. Das ist auch nicht mehr lustig."

Foto: APA/Neubauer

Wien – Es war ein schwarzes Wochenende für den Radrennsport. Keine 24 Stunden nachdem der Belgier Antoine Demoitié seinen beim Frühjahrsklassiker Gent – Wevelgem erlittenen Sturzverletzungen erlegen war, starb am Montagabend auch Daan Myngheer nach einem Herzinfarkt in einem Krankenhaus in Ajaccio. Der österreichische Radprofi Bernhard Eisel fuhr vergangene Woche bei der Katalonien-Rundfahrt, die tragischen Ereignisse beschäftigen ihn.

STANDARD: Nach dem tödlichen Unfall von Antoine Demoitié bei Gent – Wevelgem brach eine Sicherheitsdiskussion im Radsport aus. Muss immer erst etwas passieren?

Eisel: Die Sicherheitsdiskussion gibt es schon lange. Die Mühlen mahlen aber langsam. Es ist eine schwierige Situation. Es tut mir sehr leid um Antoine, das lässt einen nicht kalt. Man muss nun den Abschluss der Untersuchungen abwarten. Wir müssen die Ereignisse exakt rekonstruieren.

STANDARD: Von allen Seiten werden bereits Vorschläge eingebracht.

Eisel: Jetzt springen viele auf mit glorreichen Ideen. Es spielen aber einige Faktoren zusammen, damit so ein Unglück passiert.

STANDARD: Demoitié wurde nach einem Sturz von einem Motorrad aus dem Begleittross überrollt. Wären Sicherheitsabstände nicht eine naheliegende Maßnahme?

Eisel: Ja, schon. Wir sind aber manchmal sieben Stunden unterwegs. Die Verkehrssituationen ändern sich ständig. Irgendwann kommt die Müdigkeit dazu, dann können Fehler passieren. Die Motorräder sollten beim Überholen maximal zehn bis 20 Stundenkilometer schneller fahren als das Feld.

STANDARD: Die Masse an Motorrädern im Tross wirkt auf den Beobachter beunruhigend.

Eisel: Die Anzahl gehört reduziert. Man muss die Situation aber nüchtern betrachten, wir brauchen die Motorräder als Begleitung zur Verkehrsberuhigung. In jedem Dorf gibt es mittlerweile Kreisverkehre und Verkehrsinseln. Die Motorradfahrer machen auf diese Hindernisse aufmerksam.

STANDARD: Ohne Motorräder geht es also nicht?

Eisel: Die Fahrer machen einen wichtigen Job. Und sie riskieren einiges. Die stehen mit einem Pfeiferl und einer Fahne vor einer Verkehrsinsel oder einem geparkten Auto. Links und rechts schießen 200 Mann mit einem irren Tempo an ihnen vorbei. Das ist auch nicht mehr lustig.

STANDARD: Der Tross wird aber auch von vielen Medien begleitet. Sollte man dort vielleicht ansetzen?

Eisel: Zuletzt fuhr in Belgien ein Mann vorneweg, zehn Motorräder um ihn herum, zwei Kameras, fünf Fotografen. Da muss man sich schon wundern.

STANDARD: Sie haben sich bei der Katalonien-Rundfahrt bereits vor den tragischen Ereignissen über die Begleitfahrzeuge beschwert.

Eisel: Der Fahrer des Kameramanns hatte keine Ahnung, was er da macht. Da geht es nicht nur um Sicherheit, sondern auch darum, dass das Ergebnis nicht beeinflusst wird. Fotografen leben von den Bildern, der Zuschauer will sie sehen. Aber man muss sich schon fragen: Kann man nicht andere Bilder liefern?

STANDARD: Zum Beispiel?

Eisel: Man könnte Kameras auf den Fahrrädern installieren.

STANDARD: Wie würden Sie das Verhältnis zwischen den Rädern und den Motorrädern charakterisieren?

Eisel: Schwierig. Lässt man ein Motorrad vorbei, ziehen zehn Fahrer mit, und man verliert seine Position. Man kämpft nicht nur mit den Fahrern um jeden Zentimeter, sondern auch mit den Motorrädern.

STANDARD: Wie reagieren die Begleitfahrzeuge auf diese Kämpfe?

Eisel: Die Auto- und Motorradfahrer sind in den letzten Monaten sehr nervös geworden. In jedem Meeting wird auf die Sicherheit hingewiesen. Wir haben im vergangenen Jahr viele vermeidbare Stürze gesehen. Das Risiko, das die Fahrer bei den Klassikern auf sich nehmen, ist schon grenzwertig.

STANDARD: Muss man auch die Fahrer in die Pflicht nehmen?

Eisel: Alle sind zur Vorsicht gemahnt. Ich habe bei der Katalanischen Woche fast eine Kollision mit dem Teamfahrzeug gehabt, das war absolut mein Fehler. Als ich Profi wurde, haben die Fahrer jedes Schlagloch angezeigt. Mittlerweile ist jeder nur noch mit sich selbst beschäftigt.

STANDARD: Nimmt die Risikobereitschaft zu?

Eisel: Wenn man einmal lockerlässt, ist man weg vom Fenster. Es wird immer schwieriger, auch mal einen Schritt zurückzugehen. Es gibt auch etwas anderes im Leben, wenn man die Radschuhe auszieht.

STANDARD: Ist das bei Ihnen schon durchgesickert?

Eisel: Ich hatte das immer ein bisschen im Hinterkopf.

STANDARD: Der 22-jährige Belgier Daan Myngheer ist am Montag beim Critérium International einem Herzinfarkt erlegen.

Eisel: Es war ein schwarzes Wochenende. Wir haben strenge Kontrollen, man wird spätestens alle zwei Jahre auf Herzrhythmusstörungen oder Herzmuskelentzündungen untersucht. Es werden Fahrer aus dem Verkehr gezogen, es wird Ruhe verschrieben. Man darf kein Auge zudrücken. Im konkreten Fall weiß ich aber nicht, was zum Tod geführt hat.

STANDARD: Die Katalonien-Rundfahrt war Ihr Comeback nach einem Schlüsselbeinbruch Anfang Februar. Sie mussten die Tour vorzeitig beenden. Ist die Rückkehr dennoch zu Ihrer Zufriedenheit verlaufen?

Eisel: Es war eine extrem schwierige Rundfahrt. Ich bin zufrieden, dass ich es wenigstens bis Barcelona geschafft habe. Dort bin ich bei Tibidabo abgebogen und habe mir den Vergnügungspark angesehen. Es ging darum, Rennkilometer zu sammeln. Alles andere war ein Überlebenskampf.

STANDARD: Bereitet Ihnen die Verletzung noch Probleme?

Eisel: Bänder und Muskeln müssen sich erst an die Platte und die Schrauben gewöhnen. Es ist noch nicht ganz verheilt. Und natürlich hat man im Hinterkopf, dass man nicht noch mal stürzen sollte. Platte, Schraube oder Körper – irgendetwas gibt dann nach. (Philip Bauer, 29.3.2016)

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