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Eine Witwe, die in Vrindavan im indischen Bundesstaat Uttar Pradesh das Holi-Fest feiert.

Foto: Reuters REUTERS/Anindito Mukherjee

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Die Hilfsorganisation Sulabh International kämpft gegen die Stigmatisierung von indischen Witwen.

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Neu-Delhi/Dubai – Sie war gerade elf Jahre alt, als man sie verheiratete – und 17, als ihr Mann starb. 70 Jahre ist das her, aber bis heute trägt Kanaklata den weißen Sari der Trauer, wie es die Hindut-Sitte verlangt. Kurz nach dem Tod ihres Mannes jagten ihre Schwiegereltern die junge Frau aus Kalkutta aus dem Haus. Sie setzte sich in Zug nach Vrindavan, jener heiligen Stadt, die für Frauen wie sie die letzte Zuflucht ist. Seitdem wartet sie dort auf den Tod.

Ihr Schicksal ist kein Einzelfall. Vrindavan in Uttar Pradesh wird auch "Stadt der Witwen" genannt. Tausende Witwen leben dort in Ashrams, klosterähnlichen Zentren. In Tempeln und Gassen betteln die Frauen mit ihren kahlgeschorenen Köpfen um Almosen. Viele wurden von den Schwiegereltern aus dem Haus geworfen. Andere von den eigenen Kindern verstoßen.

Früher mit toten Männern mitverbrannt

Früher wurde von Witwen erwartet, dass sie sich bei der Einäscherung ihres Mannes mit ins Feuer stürzen. Oft wurden sie auch gezwungen. Der furchtbare Brauch, Sati genannt, wird heute nur noch vereinzelt praktiziert. Doch noch immer werden Witwen vielerorts wie Aussätzige behandelt. Sie gelten als finanzielle Bürde und Unglücksbringer. Man sagt, dass sie für den Tod ihres Mannes verantwortlich sind. Sogar ihr Schatten gilt als unheilvoll.

Soziologen sprechen von "lebenden Toten", so isoliert und geächtet werden die Frauen. "Meine drei Söhne gaben mir nicht mal zwei Mahlzeiten am Tag. So blieb mir nichts anderes übrig, als nach Vrindavan zu gehen", erzählt die Witwe Aarti. In Indien bekommen Frauen erst durch einen Mann ihren Wert. Mit dem Tod ihres Mannes verlieren sie alles – auch ihre Weiblichkeit.

Es wird erwartet, dass sie bis zu ihrem Lebensende trauern, allen Freuden entsagen und keusch leben. Sie dürfen nicht an Festen und Familienfeiern teilnehmen, keinen Schmuck tragen und nicht einmal Süßigkeiten essen. Stattdessen müssen sie sich den Kopf kahlscheren und Weiß tragen.

Geld und Kurse für Witwen

"Wenn die Frau stirbt, kann sich der Mann wiederverheiraten", sagt der bekannte Sozialaktivist Bindeshwar Pathak. Frauen sei dagegen eine Wiederheirat verwehrt. Der 72-Jährige ist Gründer der Hilfsorganisation Sulabh International, die sich um 1500 Witwen in Vrindavan und Varanasi kümmert. Damit die Frauen nicht mehr betteln müssen, bekommen sie 2000 Rupien im Monat, knapp 27 Euro, um sich selbst zu versorgen. Jüngere können Kurse besuchen, um etwa Nähen zu lernen.

Pathak kämpft dafür, die Frauen von ihrem Stigma zu befreien. Vor drei Jahren begann Sulabh, mit den Frauen Holi, das Frühlingsfest der Farben, zu feiern. Bis heute ist das ein Tabubruch. Für ein paar Stunden sind die weißen Saris in bunte Farben getaucht, erklingt Lachen in den Ashrams. Erstmals feierten die Witwen in diesem Jahr sogar in einem berühmten Tempel. "Wir wollen damit ein Zeichen gegen die Stigmatisierung setzen", sagt Pathak.

Auch die 87-jährige Kanaklata ließ sich im Rollstuhl zum Tempel rollen, um für ein paar Stunden ihr Schicksal zu vergessen. Dieses Holi sei das Beste gewesen, was sie seit langem erlebt habe, erzählte die 65-jährige Raisa. "Die Zeiten ändern sich. Die Menschen sehen uns nicht mehr als Fluch. Wenn ich erlebe, wie kleine Kinder keine Scheu vor uns haben, bin ich sehr glücklich." (Christine Möllhoff, 26.3.2016)