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Sarajevo 1993: Menschen ducken sich, um den Scharfschützen zu entkommen. Sarajevo wurde dreieinhalb Jahre belagert.

Foto: REUTERS/Chris Helgren

Sarajevo – Er ist ein Meister der Provokation und Verdrehung. Vor wenigen Tagen benannte der Präsident der Republika Srpska (RS), Milorad Dodik, ein Studentenheim in Pale nach dem Kriegsverbrecher Karadzic und bezeichnete diesen als "Mann mit Stärke und Charakter. Die "Idee", dass es in Srebrenica einen Völkermord gegeben habe, würde hartnäckig von der internationalen Gemeinschaft verfolgt, um die verfassungsrechtliche Stellung der RS zu schwächen, meint Dodik bereits zuvor.

Dodik ist nur einer von vielen Politikern in den Nachfolgestaaten Jugoslawiens, die Kriegsverbrechen und Kriegsverbrecherprozesse instrumentalisieren. Die beliebtesten Methoden sind neben der totalen oder teilweisen Leugnung die Rechtfertigung von Verbrechen, ihre Beschönigung oder Verharmlosung; sehr gängig ist auch das Aufrechnen. In vielen Fällen werden Verbrechen an den anderen Volksgruppen als weniger schlimm gewertet als Verbrechen an der eigenen. Häufig werden Zahlen aufgebauscht oder verringert, jeweils um das eigene Opfertum zu betonen. Oft werden auch historische Vergleiche herangezogen und wird so getan, als wären die Verbrechen Racheakte für andere Verbrechen.

Grundsätzlich wird keine Einsicht und Selbstkritik, aber Schuldabwehr und Beschuldigung gezeigt. In keinem der vier involvierten Staaten – Kroatien, Serbien, Bosnien-Herzegowina und dem Kosovo – gelang es trotz der Arbeit des Haager Jugoslawien-Tribunals (ICTY) eine tiefgehende gesellschaftliche Debatte in Gang zu bringen, die zumindest zu einer allgemeinen Anerkennung der Fakten geführt hätte. Eigentlich hat sich die Situation in den letzten Jahren verschlechtert. 2004 noch entschuldigte sich die damalige Regierung der RS für die Verbrechen in Srebrenica, und politische Eliten aus Kroatien und Serbien suchten nach Versöhnung. Heute sagt Dodik: "Wir brauchen eine Wahrheit, die jeder akzeptieren kann", so als ob man sich die Fakten je nach Wunsch zusammenbasteln könnte.

Gemeinsames Gedenken

Serbiens Premier Aleksandar Vucic hat einige positive Akzente gesetzt, doch sein Vorschlag, einen gemeinsamen Gedenktag für die Kriegsopfer in Ex-Jugoslawien zu begehen, wird von vielen nicht als ernsthafter Wille zur Auseinandersetzung gewertet. "Wir alle wissen, dass es auf allen Seiten Opfer gab", sagt Vucic, erwähnt aber nicht, dass die bei weitem größte Zahl der Opfer im Bosnien-Krieg Bosniaken waren.

Die Historikerin Katarina Ristic schreibt in ihrem neuen Buch Imaginary Trials von einer "negativen PR" im Bezug auf das Jugoslawien-Tribunal, das als parteiisch verunglimpft wurde. Insbesondere in Bosnien-Herzegowina hängt die Zustimmung davon ab, mit welcher "ethnischen" Gruppe man sich identifiziert. Laut einer Umfrage aus 2010 sehen drei Viertel der Bosniaken und über 70 Prozent der Kroaten das Gericht für positiv an, aber nur 15 Prozent der bosnischen Serben. Ristic sagt, dass die Medien die Kriegsverbrecherprozesse in eine Geschichte "nationaler Auseinandersetzungen" übersetzten.

Sie denkt, dass nur unter der Voraussetzung, dass die politischen und gesellschaftlichen Eliten das "radikale Böse" brandmarken würden – wie dies nach dem Holocaust in Deutschland geschah -, ein reflektierter Umgang mit der Vergangenheit möglich sei. Solange dies aber nicht geschehe, würde die Erinnerung weiter um Helden, Märtyrer und Opfer kreisen und würden die Kriegsverbrecherprozesse als nationalistisches Arsenal benutzt. (awö, 25.3.2016)