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Im bosnischen Potočari, Schauplatz des Massakers von Srebrenica, verfolgten am Donnerstag Überlebende den Urteilsspruch gegen Radovan Karadžić im Fernsehen.

Foto: REUTERS/Dado Ruvic

Kurz vor der Urteilsverkündung versuchte der bosnisch-serbische Expräsident Radovan Karadžić, das schlimmste Verbrechen im dreijährigen Bosnienkrieg (1992–1995), das Massaker von Srebrenica, herunterzuspielen und auf seine Weise zu interpretieren. Die Vorwürfe seien übertrieben, es seien nur einige Hundert Personen erschossen worden, sagte er zum Internetportal "Birn" am Mittwoch.

Eine Gruppe von Gefangenen wurde am Morgen des 14. Juli 1995 in 30 Fahrzeugen nach Orahovac gebracht. Dort befanden sich bereits Gefangene. Manche wurden aus dem Gebäude herausgeholt und getötet. Manche wurden mehrere Stunden in der Schule festgehalten – von Zeit zu Zeit wurden kleine Gruppen geholt und zu den Exekutionsplätzen geführt, die weniger als einen Kilometer entfernt waren. Den etwa 1.000 Männern wurden die Augen verbunden. Sie mussten sich in eine Reihe stellen. Dann wurde ihnen in den Rücken geschossen. Wer nicht gleich starb, wurde mit einem weiteren Schuss getötet. Die Toten wurden in Massengräber gelegt, die später wieder ausgehoben wurden, um den Genozid zu verschleiern.

Das UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag hat am Donnerstag den Expräsidenten der Republika Srpska (RS), Radovan Karadžić, wegen des Völkermords in Srebrenica schuldig gesprochen. Der 70-Jährige wurde zu 40 Jahren Haft verurteilt. Der Senatsvorsitzende O-Gon Kwon sagte, dass man für einen Völkermord in sieben ostbosnischen Gemeinden keine Beweise gefunden habe.

Karadžić wurde aber wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Mordes, Deportationen und Belagerung Sarajevos verurteilt. Er habe Scharfschützen und Granatbeschuss gegen die Bevölkerung einsetzen lassen. Er kündigte Berufung an.

"Karadžić wollte Bosnien demografisch neu ordnen, indem er die muslimische und kroatische Bevölkerung vernichten ließ", hatte Staatsanwalt Alan Tieger gesagt.

"Befehl kam von Karadžić"

Die Richter des Jugoslawientribunals folgten dieser Ansicht am Donnerstag, als sie das wohl wichtigste Urteil des Gerichts fällten. Auch die Einschätzung des Militärexperten Richard Butler teilte man, der sagte, dass die Anweisung zur Tötung der Gefangenen in Srebrenica vom Obersten Kommandanten, also Karadžić, gekommen sein müsse.

Im Prozess ging es um politische und militärische Verantwortung für die Vertreibung von Hunderttausenden, für ethnische Säuberung und letztlich den Genozid. Juristisch wurde er – wie bereits im Fall des vor dem Urteil verstorbenen Expräsidenten von Serbien, Slobodan Milošević – wegen eines gemeinsamen verbrecherischen Unterfangens angeklagt, zu dem Karadžić von 1991 bis 1995 gehörte und das zum Ziel hatte, die bosnischen Muslime und Kroaten vom Territorium der neu geschaffenen "Serbischen Republik" wegzubringen, um ein "ethnisch reines" Gebilde zu schaffen.

Der Prozess begann 2010; 585 Zeugen wurden gehört. Allein die Beweisaufnahme dauerte viereinhalb Jahre, und die Richter nahmen sich ein Jahr Zeit, um das Urteil zu fällen. Die Anklage versuchte zu beweisen, dass Karadžić die Verbrechen orchestriert hatte, dass er die treibende Kraft hinter den ethnischen Säuberungen war.

Karadžić war angeklagt, Zivilisten in Sarajevo durch die Scharfschützen-Attacken und den jahrelangen Beschuss terrorisiert zu haben. Die 31-jährige Dženana Sokolović und ihr Sohn Nermin waren etwa am 18. November 1994 unterwegs nach Hause aus dem Viertel Hrasno, wo sie Feuerholz geholt hatten, als die Frau von einer Kugel durchbohrt und ihr siebenjähriger Bub tödlich getroffen wurde. Keiner war vor den Scharfschützen, die in Wohnblöcken postiert waren, sicher. In Sarajevo selbst wurden etwa 10.000 Personen getötet, darunter etwa 1.600 Kinder. (Adelheid Wölfl, 25.3.2016)