In den Holzkisten gefundene Zeitungsausschnitte belegen, dass die Kunstobjekte in den 1970er- und 80er-Jahren ausgegraben wurden, als die Etruskerstadt Cerveteri als Grabräuber-Eldorado galt.

Foto: Dominik Straub

Den Schweizer Polizisten und italienischen Carabinieri, die im Jänner in einer gemeinsamen Aktion den Genfer Freihafen durchsuchten, ist ein großer Coup gelungen: In einem Magazin fanden sie 45 große Holzkisten, in denen zwei etruskische Sarkophage, ein Mosaik aus Pompeji, Marmorbüsten, Wandteile eines Tempels, Amphoren, Architekturverzierungen und hunderte weitere antike Kunstgegenstände lagerten.

Die Objekte stammen aus illegalen Grabungen in der Hauptstadtregion Latium, auf Sizilien, in Apulien, Kampanien und Kalabrien. Der Marktwert wird von den italienischen Behörden auf rund neun Millionen Euro geschätzt. Vorausgegangen war der Razzia ein Rechtshilfebegehren der römischen Staatsanwaltschaft.

Das sichergestellte Kulturgut ist vor einigen Wochen von Genf nach Italien zurückgebracht und am Montag in Rom der Öffentlichkeit vorgestellt worden. "Aus archäologischer und kunsthistorischer Sicht handelt es sich um eine der wichtigsten Entdeckungen der letzten Jahrzehnte", betonte die Direktorin der Kulturgüterverwaltung von Latium und Etrurien, Alfonsina Russo. Einige der wertvollsten Objekte seien aus einer Grabanlage bei Cerveteri gestohlen worden: Die ehemalige Etruskerstadt nördlich von Rom war laut Russo in den Siebziger- und Achtzigerjahren ein "Eldorado für Grabräuber" gewesen. Zeitungsausschnitte, die in den Holzkisten gefunden wurden, belegten, dass die Kunstobjekte tatsächlich in dieser Zeit illegal ausgegraben worden seien.

Seit 15 Jahren gelagert

Die Abteilung Kulturgüterschutz der Carabinieri und die römische Staatsanwaltschaft, die dem Genfer Schatz auf die Spur gekommen waren, haben noch eine weitere Entdeckung gemacht: Die Kulturgüter hatten offenbar schon seit 15 Jahren im Freihafen der Stadt gelagert. Sie waren vom berühmt-berüchtigten britischen Kunsthändler Robin Symes zusammengerafft und vermutlich im Jahr 2001 nach Genf geschafft worden – in der Absicht, sie vor den englischen Konkursverwaltern und den Erben seines ehemaligen griechischen Kompagnons und Liebhabers Christo Michaelides in Sicherheit zu bringen.

Der heute 77-jährige Robin Symes war in den Achtziger- und Neunzigerjahren zu einem der wichtigsten Antiquitäten- und Kunsthändler der Welt aufgestiegen; zu seinen Kunden zählten nicht nur berühmte Museen in den USA und Großbritannien, sondern auch zahllose Millionäre, u. a. Ölscheichs. Doch bei weitem nicht alles, was Symes kaufte und verkaufte, war legalen Ursprungs. Zu seinen Lieferanten gehörten auch Grabräuber und der dubiose italienische Antikenhändler Giacomo Medici. Symes, eine Mischung aus Indiana Jones und englischem Snob, besaß in seinen besten Zeiten einen Rolls-Royce mit Chauffeur und war festes Mitglied des britischen Jetsets.

Als sein Partner Michaelides 1999 bei einem Unfall starb, war dies für Symes der Anfang vom Ende: Die Erben Michaelides' verfolgten ihn mit millionenschweren Zivilklagen; irgendwann konnte Symes seine Anwälte nicht mehr bezahlen und musste Konkurs anmelden. Vorübergehend floh der Kunsthändler in die Schweiz; 2005 wurde er in England wegen Falschaussagen vor Gericht und anderer Delikte zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt.

Die von den Erben Michaelides' angeheuerten Privatdetektive wollen ermittelt haben, dass Symes weitere gigantische Kulturschätze angehäuft habe, die er in dutzenden noch unentdeckten Verstecken lagere. Angeblicher Gesamtwert dieser Kunstgegenstände: rund 150 Millionen Euro.

Das würde bedeuten, dass es sich bei dem in Genf sichergestellten Schatz bloß um die Spitze des Eisberges handelt. Der römische Oberstaatsanwalt Giancarlo Capaldo äußerte sich gestern nicht zu den 150 Millionen, bestätigte aber, dass in den USA und in England weitere Rechtshilfegesuche anhängig seien. "Die vorbildliche Zusammenarbeit mit der Schweiz belegt, dass es für Händler mit illegalem Kulturgut inzwischen keine sicheren Verstecke mehr gibt", betonte der Leiter der Abteilung Kulturgüterschutz der Carabinieri, General Mariano Mossa. (Dominik Straub aus Rom, 24.3.2016)