STANDARD: 2015 waren Sie führend in die niederösterreichische Landesausstellung "Ötscher:reich" eingebunden. Wie kann verhindert werden, dass der Versuch, für mehr Nachhaltigkeit im Tourismus zu sorgen, gleich wieder erlahmt?
Bätzing: Wichtig ist jetzt das Schnüren von Netzwerken. Bleiben die regionalen Akteure auf sich gestellt, besteht die Gefahr, dass alles verpufft. Ich bin zuversichtlich, dass es funktioniert.
STANDARD: Naherholung und Tourismus, das stand bisher im Fokus?
Bätzing: Jetzt werden auch andere Themen wichtig, von kultureller Identität über das Bildungssystem bis zu kommunaler Infrastruktur. In der Region gibt es sechs Gemeinden mit weniger als 600 Einwohnern. Schon allein wenn man ein Geschäft aufsperren will, sind neue, möglicherweise genossenschaftliche Ansätze notwendig.
STANDARD: Das setzt Bereitschaft zur Zusammenarbeit voraus?
Bätzing: Das ist zentral. Die Gemeinden müssen kooperieren, über Bezirksgrenzen hinweg. Damit müsste man jetzt anfangen. Eine nachhaltige Regionalentwicklung nur über Tourismus bzw. Naherholung greift zu kurz.
STANDARD: Ist Verständnis dafür da?
Bätzing: Die Landesausstellung hat viel bewegt. Die Leute haben gesehen, welche Möglichkeiten sich auftun. Das große Problem ist der Gemeindeegoismus, jede Kommune schaut auf sich allein. Noch dazu wird die Ötscherregion von Bezirksgrenzen und einer Landesgrenze geteilt, was die Zusammenarbeit erschwert.
STANDARD: Es bräuchte Bürgermeister mit Weitblick?
Bätzing: Solche sind mehr denn je gefragt. Ich habe das Gefühl, dass ein erster Schritt in die richtige Richtung erfolgt ist. Es gibt viele gute Ideen. Die Sache muss aber jemand in die Hand nehmen.
STANDARD: Wer denn?
Bätzing: Für die Organisation böte sich der Naturpark Ötscher-Tormäuer an. Leiten müssten es alle gemeinsam oder im Turnus. Mit dem Naturpark hätte man einen Akteur, der bereits grenzüberschreitend ausgerichtet ist.
STANDARD: Sie haben aufgezeigt, dass die Bevölkerungszahl in der Region zwischen 1981 und 2011 geschrumpft ist. Lässt sich so ein Trend durch Initiativen wie diese stoppen?
Bätzing: Das ginge, indem vor allem Jugendliche motiviert werden, dass sie nach einer Ausbildung außerhalb der Alpenregion heimkehren und hier arbeiten.
STANDARD: Was ist sanfter Tourismus in Ihren Augen?
Bätzing: Ein Tourismus, der von den Einheimischen gestaltet wird, wo man ohne Seilbahnen und Skilifte auskommt und wo keine fremden Investoren mitmischen.
STANDARD: Viele Privatzimmer?
Bätzing: Da ist vieles denkbar. Das können Privatzimmer sein, auch kleine Pensionen oder Hotels, wenn sie im Eigentum der Einheimischen sind.
STANDARD: Bräuchte es im Alpenbogen mehr Bewusstseinsbildung, dass durch verstärkte Kooperation auch Kleinstrukturen eine Überlebenschance haben?
Bätzing: Unbedingt. Die niederösterreichische Landesausstellung im Vorjahr war der stärkste Impuls für eine nachhaltige Regionalentwicklung seit langem. Überall sonst haben neoliberale Ideen Oberwasser. Die Peripherie hat nur eine Chance, wenn sie mit den Zentren eng verbunden wird, sonst kann man sie abschreiben.
STANDARD: Sie halten dagegen?
Bätzing: Das Extrembeispiel sind die französischen Alpen. Die werden von der Compagnie des Alpes dominiert – einer AG in Paris. Die Einheimischen sind jedoch von der Tourismus-entwicklung ausgeschlossen. Die Menschen, die dort Urlaub machen, erfahren die Alpen nicht als Natur- und Kulturraum, sie erleben eine für den Tourismus hergerichtete Landschaft. Mit den Alpen hat das wenig zu tun. (Günther Strobl, 26.3.2016)