Die Deponie Biotec ist eine Altdeponie, die vom massiv aufsteigenden Grundwasser durchströmt wird.

Foto: Isabell Zipfel

Sie liegt direkt neben landwirtschaftlich genutzten Feldern.

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Laut einem ehemaligen Arbeiter, wurden die Warnhinweise teilweise überpinselt.

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Die Buchstaben auf dem Schild am Metalltor mit der Warnung vor dem Hund sind knochenbleich, links und rechts wuchern Büsche entlang des Zauns. Dahinter liegen sandfarbene Hallen und minzgrüne Türme. Seit drei Jahren verwaist die Anlage, am Gelände lagern aber immer noch ein paar Hundert Tonnen Giftmüll.

Die Geschichte der S.D.R. Biotec Verfahrenstechnik GmbH in Pohritzsch in Sachsen ist eine von gebrochenen Versprechen. Bis heute spaltet die Firma ein ganzes Dorf – auch weil es seit Jahren trotz einer Anklage durch die Staatsanwaltschaft nicht zu einer juristischen Aufarbeitung gekommen ist.

Zwölf Jahre lang arbeitete die Firma mit zumeist hochgiftigem Müll, insgesamt über eine Million Tonnen wanderten hier durch. Dieser, so die Chemiker und Ingenieure, werde zu harmlosem Abfall verarbeitet. Die Formel: Durch chemische Reaktionen sollte das Gift "immobilisiert" werden. Hochproblemmüll verwandle sich mittels Chemikalien und Beimengen wie Braunkohlenasche und Wasser in einen ungefährlichen Baustoff, hieß es.

Das Geschäft lief gut. Denn Biotec verlangte für die Entsorgung weniger als in der Branche üblich. Die Firma kümmerte sich um Reststoffe aus der Metallurgie und den Filtern von Müllverbrennungsanlagen. Eine Tonne in einem Salzstock kostet 100 Euro aufwärts. Biotec nahm dafür 50 bis 60 Euro und lagerte diese dann für fünf bis 25 Euro auf Deponien.

Die Betreiber der Müllberge nahmen den Baustoff gern für ihre Halden. Die Politiker freuten sich über die Aufträge für die oft übergroßen und defizitären Deponien in Staatshand. Manch Arbeitsloser in der Region fand endlich einen Job und die Kommune mit der Firma einen großen Steuerzahler. Und die Industrie sträubte sich nicht gegen geringere Entgelte für die Abnahme ihres Mülls. Alle schienen daran zu gewinnen.

Roland Wiesener steht in seinem Wohnzimmer, er lugt über die Silberrandbrille durchs Fenster in den Garten. Alles hat seinen Platz dort, keine zehn Autominuten von Pohritzsch entfernt. Nur dieser Störenfried in seinen Beinen und Händen, der ist nicht bestellt. Ein Kribbeln und Jucken und Stechen. Der 56-Jährige nimmt dreimal am Tag Schmerzmittel. Der Frühpensionist ist schwerbehindert. Eine Polyneuropathie greift seine Nerven an, sein Blut hat hohe Bleiwerte. 2012 machte der Delitzscher bei Biotec als einer der letzten Mitarbeiter das Licht aus.

Warnhinweise überpinselt

Wiesener zeigt ein Foto aus dem Jahr 2004, daneben mehrere Unterschriften. "Das haben wir Arbeiter dokumentiert. Hier haben wir auf den Tonnen die Totenköpfe überpinselt und die Abfälle als 'stabilisiert' unbehandelt zur Zentraldeponie in Gröbern bringen lassen", sagt er. Bis zu vier Touren solcher Art habe es pro Tag gegeben. "Anfangs haben wir noch Kalk dazugegeben, aber das kostete ja. Das sollten wir später nicht mehr machen", sagt er. Mit den Chefs habe man darüber nicht reden können, so Wiesener: "Die sagten dann: 'Ihr habt Schweigepflicht.'"

Anwohner klagten in dieser Zeit zum Beispiel über Ammoniakgeruch. Der Betrieb werde regelmäßig überwacht, schrieb jedoch ein Referatsleiter aus dem sächsischen Umweltministerium 2007 einer Anwohnerin. Und der damalige sächsische Umweltminister Roland Wöller (CDU) sagte 2008, seit 1999 sei es "zu keinen Abweichungen vom bestimmungsgemäßen Betrieb der Anlagen" gekommen. Was der Minister und die Briefe von damals nicht erwähnten: Nach Angaben der Umwelt- und Verbraucherschutzorganisation "Deutsche Umwelthilfe" (DUH) hatten mehrere Deponien Chargen der Biotec zurückgewiesen. Cröbern erließ Anfang Februar 2008 einen Lieferstopp, Spröda lehnte im Juni 2006 alle untersuchten Mengen wegen zu hoher Metallwerte ab und die Deponie "Weißer Weg" in Chemnitz stellte Ende 2008 die Annahme wegen der Bleiwerte ein. Studien des TÜV Nord und der Uni Leipzig zweifelten an der Methode, Giftmüll zu immobilisieren.

Blei in der Luft

Die DUH nahm schließlich selbst Bodenproben, Medien wurden aufmerksam. Im September 2008 veranlasst das Sächsische Landesamt für Umwelt schließlich dreimonatige Emissionsproben nahe der Firma, wegen der ersten hohen Ergebnisse dann für ein ganzes Jahr. Danach weiß man: In Pohritzsch, einem Ort umringt von Kirschbaumplantagen, liegen zu viel Blei, Cadmium, Arsen, Thalium und Nickel in der Luft.

2009 kam die Wende: Die Behörden kontrollierten die Firma und stießen auf bereits behandelten Müll, der jedoch zu viele Schwermetalle enthielt. Eine defekte Reifenwaschanlage fiel auf. Viermal forderte man die Betreiber auf, den Langzeitnachweis für die Sicherheit des behandelten Mülls zu erbringen; vor der Betriebserlaubnis hatten sie 1999 versprochen, dies im Laufe der Jahre einzureichen. Die Manager von Biotec reagierten mit viel Papier und überzeugten dennoch nicht. Es hagelt Auflagen. Auch die Staatsanwaltschaft ermittelt und die GmbH wird geschlossen.

Für viele im Dorf war das ein Schlag. Bis heute ist man sich uneins in Pohritzsch, schaut unschlüssig auf die verfallenden Hallen am Ortsrand. Im September 2012 hat die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben. Bis maximal 2020 hätte man noch Zeit, bis die Vorwürfe verjähren. (Jan Rübel aus Pohritzsch, 26.3.2016)