Aufrufe zum Frieden gab es oft; dass Regierung und Farc folgen, ist für die meisten Kolumbianerinnen und Kolumbianer aber eine neue Erfahrung. Viele bezweifeln daher, dass ein Pakt zwischen ihnen eine bessere Zukunft bringt.

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Am Hafen herrscht reges Treiben. Händler laden dicke Bananenstauden von Kanus, Betreiber kleiner Fähren werben um Kunden, Männer fischen im Fluss. Die Provinz Chocó an Kolumbiens Pazifikküste ist ein tropisches Paradies. Der kaum erschlossene Chocó beherbergt einen der arten- und regenreichsten Urwälder der Erde. Doch die Idylle trügt.

"Drei Viertel aller Einwohner wurden Opfer des Bürgerkriegs", sagt Ulrich Kollwitz von der Menschenrechtskommission der Diözese Quibdó, die vom katholischen Hilfswerk Misereor unterstützt wird. Die Kirche hat in dieser abgelegenen Region, die vor allem von Nachfahren schwarzer Sklaven bewohnt wird, lange vor allen anderen die Massaker dokumentiert und angeprangert.

Frieden als vage Hoffnung

Die Kapelle ist tapeziert mit Fotos der Opfer: Frauen, Männer, Greise, Kinder. Dazu Name, Geburts- und Sterbedatum und – falls bekannt – die Täter. Frieden ist in dieser vom Staat vergessenen Region nicht mehr als eine vage Hoffnung. Dass die Kriegsgewinnler von gestern nicht Friedensgewinner von morgen werden, ist noch nicht ausgemacht, auch wenn die Waffen zwischen Regierung und der Guerilla der "Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens" (Farc) nun schweigen und bald ein Friedensvertrag folgen soll.

Um von Quibdó nach Playa Bonita zu kommen, muss man zwei Stunden lang zuerst den Atrato, dann den noch wilderen Nebenfluss Andagueda befahren.

Dröhnende Generatoren von Baggerschiffen verpesten die Luft. Auf Kies fahren Laster, Vorderlader und hölzerne Sandrutschen – Utensilien, mit denen Schürfer dem Flusssand Goldpartikel entreißen. Für ein paar Gramm Gold müssen Tonnen Erde und Kies umgewälzt werden.

Der Chocó produziert die Hälfte des kolumbianischen Goldes und ist doch bitterarm geblieben: 65 Prozent der Einwohner leben unter der Armutsgrenze. Vier von zehn sind Analphabeten, 110 von 1000 Babys sterben bei der Geburt, 73 Prozent der Kinder sind unterernährt. Reichtum für wenige, Zerstörung für alle: Klare, fischreiche Gewässer sind nun trüb von den Sedimenten und tot vom Quecksilber, das die Schürfer einsetzen. Unlängst starben über 30 Kinder, nachdem sie das Flusswasser getrunken hatten.

Nur wenige Nutznießer

"Wir haben immer schon Gold geschürft, aber im kleinen Stil, mit Siebepfannen", erzählt Ober Machado. Was jetzt am Atrato und am Andagueda passiert, sieht der 32-Jährige aus Playa Bonita mit Sorge. Legal ist es nicht. "Ich frage mich, wie die ganzen Bagger, Motoren, Benzin und das Quecksilber hierher transportiert werden, ohne dass das jemandem auffällt", sagt Machado ironisch. Die Antwort kennt er ebenso gut wie alle: Polizisten, Politiker, Militärs sind ebenso Nutznießer des schmutzigen Geschäfts wie Guerilla und Paramilitärs, die sich zwar offiziell 2006 demobilisierten, von denen viele aber weiter die Gewalt als Geschäftsmodell pflegen. Sie heißen nun Rastrojos und Autodefensas Gaitanistas, doch die Strategien sind die gleichen geblieben: Bevölkerung mit Geld und Gewalt gefügig machen, um selbst Gold zu schürfen oder von Unternehmern Schutzgelder zu erpressen, um Drogenrouten zu kontrollieren oder über korrupte Bürgermeister staatliche Aufträge zu bekommen. Dass es mit den Farc nach der Demobilisierung anders laufen wird, ist unsicher.

Nirgendwo mehr Massaker

In den 1990er-Jahren starteten die Paramilitärs eine Großoffensive im Chocó. Angeblich um die Guerilla zu vertreiben, doch hauptsächlich ging es um die Kontrolle eines Territoriums, das reich ist an Rohstoffen und das mit dem Atrato eine strategisch wichtige Wasserstraße beherbergt. Statt Guerilleros, die einer Konfrontation aus dem Weg gingen, metzelten die paramilitärischen Selbstverteidigungsgruppen die Bevölkerung nieder und machten den Weg frei für Goldschürfer, Bananen- und Palmölplantagen. Nirgendwo gab es gemessen an der Bevölkerungszahl mehr Massaker und mehr Vertriebene.

Nach Playa Bonita sind 200 der ursprünglich 400 Einwohner zurückgekehrt; schneller als die träge Regierungsbürokratie nachkommt, die derzeit noch hauptsächlich damit befasst ist, ein Friedensbüro in Quibdó aus dem Boden zu stampfen und personell auszustatten. Die Menschen von Playa Bonita müssen praktisch alleine von vorne anfangen.

Machado ist jetzt Dorfpolizist, hat aber weder ein Boot noch ein Motorrad oder eine Pistole und muss mit einer Truppe von Macheten tragenden Freiwilligen für Sicherheit sorgen. Viel kann er nicht ausrichten. Am gegenüberliegenden Ufer haben sich Goldschürfer niedergelassen – obwohl Playa Bonita eigentlich zum 73.000 Hektar großen, kollektiven Schutzgebiet gehört, das die Bauernorganisation COCOMOPOCA in einem elf Jahre lang dauernden Prozess mithilfe der Diözese erstritten hat.

Doch als die Landbehörde endlich entschied, lebte nur noch die Hälfte der ursprünglich 30.000 Bewohner auf dem Land. In der Zwischenzeit hatte das Bergbauministerium dem südafrikanischen Konzern AngloGold Ashanti Konzessionen auf 55.000 Hektar erteilt. Der Bergbau, so der Plan der Regierung, soll nach dem Konflikt Wirtschaftsmotor werden.

Rennen um Konzessionen

Präsident Juan Manuel Santos hat es eilig mit der Wirtschaft. Ein Großteil Kolumbiens ist als strategisches Entwicklungsgebiet ausgewiesen, 20 Prozent der Staatsfläche sind als Bergbaugebiet gekennzeichnet. Dort möchte die Regierung Konzessionen im Schnellverfahren vergeben. Dem machte allerdings das Verfassungsgericht im Februar einen Strich durch die Rechnung.

Gibt es Opfer, die vorher dort lebten, haben sie dem Urteil zufolge Anspruch auf Rückkehr und können nicht einfach mit Geld abgespeist werden. Auch die Beteiligung lokaler Behörden ist zwingend. Die für Wasserversorgung wichtigen Hochmoore der Anden (Paramos) können gar nicht ausgebeutet werden. Trotzdem sind die Menschen im Chocó skeptisch. Dass der Staat sie schützt, wäre eine ganz neue Erfahrung. (Sandra Weiss aus Quibdó, 24.3.2016)