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Die Anzahl der Studierenden ist in den USA in den letzten 20 Jahren auf über 20 Mio. gestiegen. Das Erfolgsmodell zeigt aber gehörige Risse: Zu hohe Kosten und zu wenig Forschung sind nur zwei davon.

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"Zapft mein Gehirn an, nicht meine Geldbörse" steht auf einem der Plakat demonstrierender Studenten. Durchschnittlich schulden US-Studenten ihren Banken am Ende ihres Studiums 50.000 Dollar.

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Während viele in Europa ehrfurchtsvoll das US-Universitätssystem nachahmen wollen, kracht es hier gehörig im Gebälk. Tertiäre Bildung ist in den USA ein Massenphänomen. 54 Prozent der 18- bis 20-jährigen besuchen eine postsekundäre Bildungseinrichtung (45 Prozent sind es in Österreich). Die Anzahl der Studierenden ist in den USA in den letzten 20 Jahren auf über 20 Mio. gestiegen. Das Erfolgsmodell zeigt aber gehörige Risse.

50.000 Dollar Schulden

Kevin Carey, Leiter des Education Policy Programme der New America Foundation, zerlegt in seinem Bestseller The End of College die Schwachstellen des Systems. Studieren in den USA wird immer teurer und für immer weniger Familien leistbar. Das Volumen der Bildungskredite ist von 250 Mrd. im Jahr 2004 auf eine Billion Dollar im Jahr 2012 gewachsen – weit stärker als alle anderen Kreditkategorien. Durchschnittlich schulden US-Studenten ihren Banken am Ende ihres Studiums 50.000 Dollar.

Stanford-Absolventen nehmen Jobs in Texas an, weil sie bei den Kreditrückzahlungen sich das Wohnen im teuren Silicon Valley nicht leisten können. Der Collegebesuch und die Bildung der Kinder sind absolute Priorität amerikanischer Mittelklassefamilien: Ab der Volksschule dreht sich alles ums College, und schon ab der Geburt beginnt man zu sparen.

Wer es sich leisten kann

Für die unteren sozialen Schichten bleiben Collegebesuch oder gar -abschluss außer Reichweite. Betroffen sind vor allem Afroamerikaner.

Ein Gratisstudium für Ärmere, wie es Stanford anbietet, ist löblich, fällt aber quantitativ nicht ins Gewicht. In Summe sind die Drop-out-Raten im US-System mit 66 Prozent extrem hoch. 20 Prozent aller US-Bürger über 25 sind Studienabbrecher. Der Bildungserfolg ist bescheiden, folgt man den von Carey präsentierten Studien: 45 Prozent konnten im College weder ihr kritisches Denken, noch ihr analytisches Argumentieren, noch ihre kommunikativen Fähigkeiten verbessern. Im internationalen Vergleich liegen die US-College-Absolventen mit ihren mathematischen, sprachlichen und allgemeinen Problemlösungsfähigkeiten unter dem OECD-Schnitt. Österreich schneidet übrigens in dieser Studie noch schlechter ab als die USA, hat aber zumindest ein billigeres Universitätssystem.

Nur eine Minderheit studiert an den 330 Forschungsuniversitäten, die wieder in drei Kategorien eingeteilt werden. In der Top-Kategorie gibt es nur ca. 100 Universitäten mit nicht einmal zehn Prozent aller Studierenden. Wenn Stanford 2014 nur mehr fünf Prozent aller Bewerber für einen Undergraduate-Platz aufnimmt, ist das auch ein Warnsignal. Die Aufnahmeraten sinken auch in Harvard, am MIT und in Berkley.

Forschung oder Lehre

Noch stellen sich die jungen Menschen bei diesen Universitäten um einen Undergraduate-Platz an. Bei allem Glanz und aller Glorie verlieren die Eliteinstitutionen mit ihrem Fokus auf Forschung, Master- und PhD-Programme aber zunehmend an bildungspolitischer Relevanz. Nicht nur Carey meint, dass das goldene Zeitalter der US-Eliteuniversitäten zu Ende gehen könnte.

Diese Universitäten verfolgen nämlich zwei unvereinbare Ziele: Forschung und Lehre. Auch wenn es vielleicht einmal möglich war, dass an Forschungsuniversitäten auch gute Lehre angeboten wurde, heute sei das nicht mehr der Fall. Beim Ausbau des Universitätssystems in den USA nach 1945 wurden die Top-Unis von allen neuen Institutionen nachgeahmt. Daher kümmert es heute auch diese Colleges wenig, was ihre Studierenden lernen. Bei der Gestaltung der Lehre werden seit Jahrzehnten systematisch alle lernpsychologischen Erkenntnisse ignoriert.

University of everywhere

Bis jetzt hatten die Unis Glück. Es gab keine Alternativen, sie hatten ein Monopol bei der Vergabe von Bildungstiteln. Das könne sich aber rasant ändern: Das Internet liefert die Möglichkeiten, und findige Start-ups werden diese nützen, um im Web die "University of everywhere" – wie Carey sie nennt – zu bauen. Eine Vielzahl neuer Bildungsorganisationen wird entstehen, und viele Universitäten und Colleges werden ihre Existenzberechtigung verlieren. Die absoluten Eliteuniversitäten werden sich wohl halten: Sie bringen ihre besten Kurse in die "University of everywhere" ein und bleiben reputationsträchtige und teure Zuchtanstalten der Eliten. Kevin Carey mag die Zukunft überzeichnen, seine Analysen werden aber von vielen hier ernst genommen – und könnten auch europäische Hochschulen nachdenklich stimmen. (Michael Meyer, 24.3.2016)