STANDARD: Ich habe Ihnen etwas mitgebracht.

Habjan: Spiralblöcke, fein, danke.

STANDARD: Sie verwenden die für Skizzen von guten Gesichtern für Ihre Klappmaulpuppen, wenn Sie unterwegs sind. Gut sind Gesichter, die besonders asymmetrisch sind?

Habjan: Ja, in der Asymmetrie liegt die Spannung. Jedes Gesicht ist asymmetrisch, ein symmetrisches würden wir nicht als lebendig wahrnehmen.

Am liebsten mag er Opern. Koloraturen pfeift er, Insekten faszinieren ihn. Mit seinen Puppen lädt er ein, sich der Illusion hinzugeben: Nikloaus Habjan.
Foto: STANDARD/Hendrich

STANDARD: Hätte ich ein gutes Klappmaulpuppengesicht?

Habjan: Sie haben gute Augen, das funktioniert. Aber Sie sind etwas zu wenig grotesk.

STANDARD: Haben Sie eine Idee. (lacht). In Wien finden Sie besonders gute Gesichter?

Habjan: Gute Gesichter findet man überall, aber die U-Bahn in Wien ist schon ein Highlight. Das Gesicht allein ist es aber nicht. Es geht auch um die Träger und ihre Ticks. Nehmen Sie die Elfriede (nimmt die Jelinek-Puppe). Sie hat ganz, ganz spannende Wangenknochen und die Nase ist sehr wichtig. Und sie trägt orangen Lidschatten. Oder hier, bei Hitler (nimmt die Hitler-Puppe): Als ich sein Gesicht modelliert habe, musste ich immer den Schnurrbart dazuhalten, ohne den Schnurrbart fehlt der Erkennungswert. (Steckt den Schnurrbart mit einer Stecknadel fest.)

Elfriede Jelinek am 17. Dezember 2004 bei der Verleihung des Literatur-Nobelpreises in der schwedischen Botschaft in Wien; mit Horace Engdahl von der Schwedischen Akademie.
Foto: APA/Jäger

STANDARD: Sie kommen aus Graz, mögen die Wiener aber besonders gern. Wegen ihres schwarzen Humors, wegen des Morbiden?

Habjan: Ich fühle mich hier sehr wohl. Ich bin bei Graz aufgewachsen, mit Musik von Georg Kreisler...

STANDARD: "Schlag sie tot" sang der, und so heißt auch eines Ihrer Stücke, das spielt im Altersheim.

Habjan: Ja, diese Musik hat mich sehr geprägt. Und "Kaisermühlen Blues". Ich habe das geliebt, wollte immer nach Wien. Ich finde ja, dass Wien immer noch an seiner Vergangenheit hängt, der Verlust der Größe ist so etwas wie sein immerwährender Schaden. Der schwarze Humor, das Krüppellied: "Krüppel ham so was Rührendes, so was Verführendes". Herrlich. In Deutschland versteht das kaum jemand. Ich würde das Krüppellied ja bei einem Ärztekongress vorsingen (lacht). Sehen Sie: Sie lachen, Sie haben auch einen Schaden.

Habjan singt Qualtinger. Der Refrain des Krüppellieds geht so: "Krüppel ha'm so was Rührendes Krüppel ha'm was Verführendes. Wenn ich so einen Krüppel seh', wird mir ums goldne Wienerherz recht warm und weh."

STANDARD: Sicher, wie sollte ich sonst überleben? Apropos Überleben: Sie sind immer schwarz angezogen, um neben der Puppe nicht so aufzufallen. Seltsamer Widerspruch: Der Puppenspieler steht auf der Bühne, will aber gar nicht im Vordergrund stehen. Ganz anders als der Schauspieler.

Habjan: Der Puppenspieler muss im richtigen Moment zur Seite treten, um der Puppe den Fokus zu überlassen. Es geht ja um sie und die Idee, nicht um den Spieler.

STANDARD: Sie haben bisher 64 Puppen gebaut, viele davon sitzen hier im Atelier ...

Fotografin: Elfriede Jelinek wird unglücklich sein, so nah bei Jörg Haider.

Habjan: Ach nein, sie sitzt auf ihm drauf, hat ihn unter Kontrolle. Das passt schon.

STANDARD: Haider spielt doch nirgendwo mehr mit?

Habjan: Jörg Haider ist arbeitslos. Er hat in "Schlag sie tot" mitgespielt, ist aber kurz vor der Premiere gestorben. Wir wussten nicht genau, wie umgehen damit. Also haben wir einen Epilog mit ihm gemacht, bei uns trat Haider im Himmel auf. Er war der Asylbeauftragte für den Himmel, hat alle abgewiesen und Kärntner Lieder gesungen.

STANDARD: Ihr Lehrer, Neville Tranter, entsorgt seine Puppen, wenn er sie nicht mehr braucht. Sie können das nicht. Trennungsängste?

Habjan: Nein, aber umbringen kann ich sie nicht. Ich baue sie allenfalls um. Das funktioniert bei dem Material, das ich verwende. Manche Puppen sind gegossen, manche genäht, wie Jörg Haider hier: ein Damenstrumpf, gefüllt mit Watte – und Haiders Gesicht ist mit Watte und Latex modelliert. Oder schauen Sie Hitler an: Der war davor Allen Ginsberg, mit Latexmaske wurde Hitler aus ihm.

STANDARD: Ihre Lieblingspuppe ist Friedrich Zawrel aus dem gleichnamigen Stück. Er überlebte als Kind in der NS-Zeit die mörderische Psychiatrie am Wiener Spiegelgrund und NS-Arzt Heinrich Gross. Der hat Zawrel 1974 erneut psychiatriert, als "rassisch minderwertig" ins Gefängnis gebracht. Gross wurde erst 1997 wegen Mordes angeklagt, nie verurteilt. Sie waren mit Zawrel befreundet ...

Friedrich Zawrel überlebte das Kinder-Euthanasieprogramm der Nazis am Wiener Spiegelgrund, im Mai 2013 bekam er für seine lebenslange Aufklärungsarbeit das Goldene Ehrenzeichen der Republik. 2015 ist er gestorben. Sein Peiniger, Heinrich Gross, starb 2005 als unschuldiger Mann, also ohne je strafrechtlich verurteilt worden zu sein.
Foto: Matthias Cremer

Habjan: Friedrich ist nicht meine Lieblingspuppe, sondern mein intensivstes Instrument. Die Puppe trägt Friedrichs Kleider, seinen Gehstock, seine Brille, all das hat er ihr vermacht. Mit dieser Puppe geh ich auch nicht so anarchisch um wie mit den andren, die hier herumsitzen. Wenn Friedrich unbequem liegt: Das mag ich gar nicht. Das muss ich dann schon richten.

STANDARD: Sie sprechen über Ihre Puppen als wären sie Menschen.

Habjan: Ja, aber ich sehe sie nicht als Kollegen. Wenn ich beginne, mit ihnen zu reden, muss ich in Therapie. Die Puppen sind für mich wie Instrumente.

STANDARD: Ein Schauspieler tut, als wäre er ein anderer. Bei Ihnen sieht man den Puppenspieler und glaubt der Puppe. Doppelte Illusion?

Habjan: Der Zuschauer wird von Beginn an in die Illusion eingeweiht und eingeladen, sich ihr hinzugeben und der Puppe zu glauben – aber gezwungen wird er nicht. An sich ist es einfach: Klappe auf, Klappe zu, der Puppenspieler steht daneben und spricht. Da ist keine Magie dahinter, und genau daraus entsteht die Magie. Das Publikum denkt: Verdammt, wir kriegen das mit, was da auf der Bühne vorgeht – und fallen trotzdem hinein.

STANDARD: Geht man ins Theater, um zu glauben?

Habjan: Wenn das Publikum glaubt, wenn es bewegt ist, wütend wird: Dann ist es gutes Theater. Ich will bloß keine Gleichgültigkeit erzeugen, das Schlimmste ist, wenn jemand sagt: "Es war ganz nett."

STANDARD: Die Puppen entwickeln auf der Bühne ein Eigenleben, reden auch zurück, wie Sie sagen. Spielen eigentlich die Puppen ihre Spieler? Verlieren Sie manchmal die Kontrolle?

Habjan: Manchmal bin ich nahe dran. Als ich einmal Don Quijote spielte, fiel etwas auf der Bühne um – und auf dem Video der Aufführung ist zu sehen, dass die Puppe zuerst hinschaut, und ich erst danach. Und je besser man einen Text beherrscht, desto automatischer geht alles: Die Puppe spielt von selbst. Das Wichtigste für einen Puppenspieler ist hohe Musikalität und Rhythmusgefühl. Ich zeige Ihnen das an diesem Clown hier (holt eine Puppe), der übrigens vorher Ignaz Seipel war. Seipel hat sich leider aufgelöst und bei meinem Versuch, die Puppe zu retten, entstand dieser Clown.

Der Clown, der arbeitslos ist. Er hätte in "Die letzten Tage der Menschheit" auftreten sollen.
Foto: STANDARD/Hendrich

STANDARD: Er erinnert mich ein bisschen an Otto Schenk.

Habjan: Dann mü-ss-te er lang-sa-mer re-den (pausiert) und mit mehr Pausen.

STANDARD: Sie haben in "Fasching" mitgespielt, da fällt der Satz "Ich möchte mein Glück ungeschehen machen." Kann Glück unglücklich machen?

Habjan: Das denke ich nicht. Für mich trifft das jedenfalls nicht zu, ich werde demnächst an der Bayerischen Staatsoper den Oberon inszenieren, mit meinen Puppen. Das ist mein großes Glück, weil ich wollte immer Oper machen.

STANDARD: Besonders lieben Sie Kolaraturen. Die pfeifen Sie auch?

Habjan: Ja! Soll ich Ihnen was vorpfeifen?

STANDARD: Sehr gern.

Habjan: (Legt Rossini auf, pfeift dazu.)

STANDARD: Kunstpfeifen ist etwas sehr Wienerisches, war zur Zeit der Brüder Schrammel so modern.

Habjan: Ja, da gab’s Baron Jean ...

STANDARD: ... der Hans von Tranquillini hieß und Fiakerfahrer war mit Standplatz 230 am Graben. Sind Sie denn auch Mitglied der Internationalen Philharmonischen Gesellschaft für Pfeifkunst, IAPS?

Habjan: Nein, aber ich war 2015 auf Platz vier der weltbesten Kunstpfeifer, die die IAPS jedes Jahr kürt. Am Platz vor Roger Whittaker.

STANDARD: Der ist studierter Zoologe und Meeresbiologe. Sie wollten immer Puppenspieler werden oder Zoologe. Und Sie lieben Jean Fabres "Erinnerungen eines Insektenforschers". Gibt es Parallelen zwischen Puppen und Insekten?

Habjan: Nein, aber ich beobachte gern Menschen und Insekten. Ich hab als Kind wahnsinnig gern Insekten eingefangen und abgezeichnet und Spinnen gezüchtet.

STANDARD: Was ist spannend dran?

Habjan: Allein, wie die Beute machen! Die Lasso-Spinne etwa: Die macht Jagd auf Motten ...

STANDARD: Wie praktisch.

Habjan: Sie spinnt einen Faden, an dem ein Schleimtropfen mit Pheromonen hängt, das lockt Motten an. Die Spinne sitzt und schwingt ihr Lasso, irgendwann kommt eine Motte – und schon ist sie dahin. Oder die Art, bei der das Männchen dem giftigen Weibchen eine eingesponnene Fliege als Geschenk übergibt, auf dass die Giftklauen des Weibchens beschäftigt sind, damit es zur Begattung kommen kann. Aber wehe, wenn der Spinnenbraut das Geschenk nicht gefällt! Genial finde ich auch diese Parasiten, die sich in Schnecken einnisten, damit Vögel sie fressen, die normalerweise nie Schnecken fressen.


STANDARD: Aber Nacktschnecken hassen Sie. Warum?

Habjan: Nein, vor Nacktschnecken graust mir. Jeder hat das Recht auf eine anständige Phobie.

STANDARD: Apropos nackt. Sie sind Co-Direktor des Schuberttheaters, das einst ein Sexkino war. Stimmt es, dass sich da ein Kinokunde in Ibsens "Nora" verirrte und sich im Weggehen laut beschwerte: "Des is ja Literatur!"?

Habjan: Ja. Er war empört. Die Nora hat ihm aber gefallen, sagte er.

STANDARD: Weil wir beim Weggehen waren. Sie sagen: "Niemand stirbt so überzeugend wie eine Puppe." Weil Sie nur die Hand aus ihr rausziehen müssen, damit sie stirbt?

Habjan: Ja: Klappe zu – und aus. Sobald die Verbindung zum Spieler getrennt ist, wird die Puppe zum leblosen Objekt. Erst meine Puppenspielerhand macht sie lebendig.

STANDARD: Sie sind ein kleiner Gott?

Habjan: Nein, würde ich nie sagen.

STANDARD: Weil Sie an Gott glauben?

Habjan: Nein, ich bin Agnostiker. Aber ich lass mich überraschen. Es gibt den Satz, der Tod sei die Lösung eines großen Rätsels. Ich sage: Der Tod ist die Lösung eines großen Rätsels – oder auch nicht.

STANDARD: Passt zur letzten Frage. Worum geht’s im Leben?

Habjan: Ja, wenn man das wüsste. Ich habe keine Ahnung. (Renate Graber, 27.3.2016)