Can Dündar.

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Wien/Ankara/Brüssel – Scharfe Kritik am EU-Türkei-Flüchtlingsdeal übt der Chefredakteur der regierungskritischen türkischen Zeitung "Cumhuriyet", Can Dündar. Europäische Politiker seien wegen der Flüchtlingskrise "bereit, ihre Ideale über Bord zu werfen", sagte Dündar der Tageszeitung "Die Presse" (Samstagsausgabe) mit Blick auf den autoritären Regierungsstil des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan.

"Erdogan kann wegen der Flüchtlingskrise zufrieden sein. Die EU sieht über seinen autoritären Regierungsstil hinweg. Dafür will sie gleichsam Raum für die Flüchtlinge auf türkischem Boden mieten. Es ist ein Win-Win-Deal. Jeder ist glücklich, bis auf uns – die Demokraten in der Türkei", sagte Dündar, der wegen Berichterstattung über türkische Waffenlieferungen nach Syrien mehrere Monate in Untersuchungshaft verbringen musste. Ihm droht zudem lebenslange Haft.

Es gehe nicht mehr um Zeitungen wie die säkulare Cumhuriyet oder die jüngst vom Staat übernommene islamische Zaman, betonte Dündar. "Es geht darum, ob die Türkei eine Demokratie oder ein faschistischer Staat sein will." Deshalb solidarisiere er sich auch mit Zaman, die früher scharfe Kritik an seiner Zeitung geübt habe. "Wir kämpfen in der Türkei gerade für westliche Prinzipien", richtete Dündar den europäischen Politikern aus. Er habe führenden EU-Politikern die Situation in Briefen geschildert, aber "keine Antwort bekommen".

Sarkastisch äußerte sich Dündar auf die Frage, ob er Angst vor einem neuerlichen Gefängnisaufenthalt nach dem bald beginnenden Hochverratsprozess habe: "Ich bin nicht besorgt. Heutzutage ist es in der Türkei ja im Gefängnis sicherer als draußen, wenn Sie an all die Anschläge denken." Die Attentate spielen dem Journalisten zufolge Erdogan in die Hände. "Die Menschen haben Angst. Und er sagt: Ich kann euch vor solchen Bombenanschlägen beschützen. Alle autoritären Führer werden durch Instabilität gestärkt. Das ist gefährlich." (APA, 20.3.2016)