Ein Arzt-Patienten-Gespräch ist für eine Behandlung entscheidend – auch Sympathie und Antipathie spielen bei Diagnosen eine Rolle.

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Schon Sigmund Freud vermutete, dass die unbewussten Gedanken und Gefühle eines Arztes dem Patienten gegenüber erotisch angehaucht, aber auch latent feindlich sein können und sein Verhalten beeinflussen. Das Phänomen nennt sich in der Psychoanalyse "Gegenübertragung" und ist genauso unerwünscht – schließlich sollte die behandelnde Person neutral sein – wie unvermeidlich. Empirische Daten darüber wurden bis vor kurzem jedoch noch nicht erhoben.

Forschungsteams um Henk Schmidt von der Erasmus-Universität in Rotterdam haben nun zwei Studien veröffentlicht, in denen sie dem Phänomen quantitativ auf den Grund gehen. Sie konfrontierten junge Ärzte schriftlich mit verschiedenen klinischen Fällen, entweder in einer Version, in der sich der Patient neutral verhält, oder in einer Variante mit den gleichen Symptomen, aber einem "schwierigen" Patienten. Dieser wurde zum Beispiel mit aggressiven Verhaltensweisen beschrieben, stellte die Kompetenz des Doktors infrage oder machte einen äußerst verzweifelten Eindruck.

Sympathie beeinflusst Diagnose

Die Versuchspersonen, 63 beziehungsweise 74 Ärzte, sollten die wahrscheinlichste Diagnose aufschreiben und zusätzlich bewerten, wie sympathisch ihnen der beschriebene Hilfesuchende war. In der zweiten Studie sollten sie zudem notieren, an wie viele klinische Details und wie viele Verhaltensweisen sie sich erinnerten.

Das Ergebnis entsprach dem, was die Wissenschafter angenommen hatten: Fiel der Patient unter die Kategorie "anstrengend", war es in eher einfachen medizinischen Fällen um sechs Prozent und in komplizierten Fällen um 42 Prozent wahrscheinlicher, dass er eine Fehldiagnose erhielt, als bei einem "neutralen" Patienten. Auch in Studie zwei war die Genauigkeit der Diagnose bei schwierigen Patienten um 20 Prozent niedriger.

Schwieriges Verhalten ruft Fehler hervor

Darüber hinaus erinnerten sich die Ärzte bei den unbequemen Kandidaten an weniger Symptome, aber an mehr Verhaltensweisen. Daraus zogen die Forscher die Schlussfolgerung, dass die Mediziner das problematische Verhalten zusätzlich verarbeiten mussten und dadurch von ihrer eigentlichen Aufgabe abgelenkt wurden. "Die schwierigen Patienten rufen Reaktionen hervor, die das logische Denkvermögen stören, die Beurteilung beeinträchtigen und Fehler hervorrufen", schreiben die Autoren im Fachblatt "BMJ Quality & Safety".

"Dieses Resultat passt zu ähnlichen Studienergebnissen, die darauf hindeuten, dass unangenehme Personen eher mit ungünstigen Folgen konfrontiert sind", schreiben die Mediziner Donald Redelmeier und Edward Etchells von der Universität Toronto im zugehörigen Leitartikel. Besonders deutlich wird das in der klassischen Studie, nach der unattraktive Straftäter wahrscheinlicher zu einer Gefängnisstrafe verurteilt werden (77 Prozent) als besonders attraktive (46 Prozent). Da sei es nur logisch, dass sich Angeklagte für Gerichtstermine meist ordentlich anziehen und sich höflich verhalten.

Neutralität nicht immer möglich

Ein großer Nachteil der Studie ist, dass sie sich nicht auf echte Szenarien bezieht, sondern auf Fragebogentexte. Nichtsdestotrotz scheint etwas an dem Phänomen dran zu sein. Zur Frage, wie man nun damit umgehen soll, schreiben Redelmeier und Etchells: "Eine mögliche Strategie für Ärzte wäre die einfache Selbstreflexion. Ein einzelner Arzt könnte auch auf Teamarbeit bauen, um potenzielle Diagnosefehler zu vermeiden, und Kollegen nach ihrer Beurteilung der Symptomatik fragen."

Strukturierte Diagnose-Checklisten oder computergestützte Diagnosen, die allerdings noch in den Kinderschuhen stecken, wären eine weitere Möglichkeit. Patienten könnten zwar auch versuchen, ihre Emotionen nicht dem Arzt entgegenzubringen, aber das eben sei nicht immer möglich, wenn man leide oder Schmerzen habe, so die Mediziner. (sic, 22.3.2016)