Wegen Fehlern bei der Belehrung von Rücktrittsrechten können laut einem OGH-Urteil etliche Verträge, die vor 2012 abgeschlossen wurden, noch rückabgewickelt werden.

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Wien – Weiter können die Standpunkte kaum auseinanderliegen: Während Konsumentenschützer und der Prozessfinanzierer Advofin davon ausgehen, dass die vom Obersten Gerichtshof (OGH) eingeräumte Möglichkeit, Millionen älterer Lebensversicherungen rückabwickeln zu lassen, die Assekuranzen teuer zu stehen kommen kann, wiegeln diese ab. Der Versicherungsverband Österreich spricht von "Einzelfällen".

Laut Advofin-Vorstand Franz Kallinger geht es um elf bis zwölf Millionen Polizzen, die zwischen Anfang 1994 und Ende Juni 2012 abgeschlossen wurden. In diesem Zeitraum wurden etliche Kunden falsch über die Dauer des 30-tägigen Rücktrittsrechts belehrt. Zudem hätte die Belehrung laut OGH zum Zeitpunkt der Antragstellung erfolgen müssen und nicht erst mit dem Polizzenzugang. Trifft einer dieser Punkte zu, räumt der OGH selbst für abgelaufene Verträge ein Rücktrittsrecht samt Rückabwicklung ein.

Anzahl "nicht so ohne"

Bei wie vielen sich dies auch auszahlen würde, kann Kallinger nicht genau beziffern, die Zahl sei aber "nicht so ohne": "Wenn man einen Verlust von 5000 bis 7000 Euro erlitten hat, steht es dafür, sich das anzusehen." Während bei laufenden Verträgen, bei denen die in Aussicht gestellte Entwicklung nicht eingetreten ist, genau überlegt werden müsse, ob sich die Rückabwicklung auszahle, ist bei rückgekauften oder prämienfrei gestellten Polizzen der Fall für Kallinger klar: "Dann ist der Schaden tatsächlich eingetreten."

Dabei kritisiert er auch die Intransparenz bei der Errechnung der Rückkaufwerte. Die Versicherer würden nach dem Prinzip "friss oder stirb" vorgehen. "Aber jetzt ist die Möglichkeit gegeben, eine Rückabwicklung zu machen." Allerdings geht Kallinger davon aus, dass der Gerichtsweg beschritten werden muss, was etliche Jahre dauern kann.

"Es wird genug Fälle geben, in denen das eine Option ist", meint auch Thomas Hirmke, Rechtsexperte beim Verein für Konsumenteninformation (VKI). "Wenn man rückgekauft hat, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass man einen Nachteil erlitten hat." Gemäß einer Daumenregel trifft das bei klassischen Lebensversicherungen auf die erste Hälfte der Laufzeit zu, dass der Rückkaufwert die bisher geleisteten Prämien unterschreitet.

Erhebung noch im Gange

Genaue Zahlen kann Hirmke nicht nennen, da die Erhebung noch im Gange sei. Aber selbst wenn nur 20 Prozent der Fälle betroffen seien, ergebe dies bei Millionen Verträgen eine hohe Zahl.

Anders sieht dies Elisabeth Stadler, seit Jahresbeginn Vorstandschefin der Vienna Insurance Group: "Ich halte die Zahl von zwölf Millionen durchaus für weit überhöht." Eine Prüfung laufe derzeit, in Österreich habe es aber nur "einige wenige Kundenanfragen" gegeben. "Wir gehen davon aus, dass es für uns kaum wirtschaftliche Relevanz hat."

Im Vorjahr ist der Vorsteuergewinn der VIG von 518 auf 172 Millionen Euro eingebrochen, worauf der Aktienkurs am Donnerstag zweistellig einbrach. Heuer will der Versicherungskonzern mindestens wieder 400 Millionen Euro als Vorsteuergewinn verbuchen. Eines größeren Sparpakets wird es dafür aber nicht benötigen, versicherte Stadler unter Verweis auf das permanente Kostenbewusstsein des Versicherers. (Alexander Hahn, 18.3.2016)