Underworld: Barbara Barbara, We Face a Shining Future (Caroline/Universal)

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Das britische Duo Underworld zeichnete in den 1990er-Jahren entscheidend dafür mitverantwortlich, dass Ravemusik und Indierock sich kurzschlossen und so zumindest in Großbritannien zur Massenbewegung im Zeichen von Dosenbier, Drogen und Tanzveranstaltungen für Duracell-Hasen wurden. Im Gegensatz zu Zeitgenossen wie The Prodigy und ihren voll auf die Zwölf gehenden Partyhymnen Firestarter oder Smack My Bitch Up legten es Underworld bezüglich Subtilität eher auf halb Zwölf an. Alben wie Dubnobasswithmyheadman oder der Hit Born Slippy mit dem guten alten britischen Wochenendschlachtruf "Lager, lager, lager!" erinnern heute an eine Zeit der großen weiten Augen, unmöglicher Topffrisuren und Jeans, in die auch kleine Elefanten gepasst hätten.

Das ursprünglich aus Cardiff stammende Duo Karl Hyde und Rick Smith hatte übrigens schon 1983 mit der weitgehend unbedankt gebliebenen Popband Freur und dem melancholischen Song Doot-Doot einen kleineren Erfolg. Allerdings ging es erst 1990 richtig los, als man erkannte, dass Repetition für Musiker im Zweifel ein erquicklicheres Thema ist als Akkordwechsel und klassisches Songwriting – vor allem auch, wenn man ohnehin lieber wilde Partys in Clubs als traurige junge Menschen in Konzerthallen beschallt.

Damals war noch Darren Emerson als drittes Bandmitglied dabei. Nach Einflüssen aus dem Acid-House kam der große Durchbruch schließlich 1996 mit dem Album Second Toughest Of The Infants und vor allem auch mit Born Slippy und dem Soundtrack zu Trainspotting, dem damaligen Kultfilm, der auf Irvine Welshs gleichnamigem Roman beruht.

Anschließend wurde es mit diversen Folgearbeiten wie Beaucoup Fish oder A Hundred Days Off etwas ruhiger um Underworld. Manchmal legte man aufgrund der jahrelangen Routine im Gestalten edler Soundflächen auch mehr Wert auf das Dekorative als auf das Tanzbein. Zuletzt beschallten Underworld die Welt bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in London mit einer Disneyland-Version der alten Rave-Kultur.

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Barbara Barbara, We Face a Shining Future ist zwar nun nicht eine durchgehende Rückkehr zur alten Form. Dazu hat man sich in den länglichen Tracks längst auch zu sehr auf Soundtrack-Kunst für Menschen festgelegt, die gern bei einem Glas Rotwein sitzend tanzen. Mit Stampfern wie dem im Wesentlichen auf zwei Basstönen beruhenden I Exhale oder dem nervösen Gezucke von If Rah lassen sich allerdings auch heute noch die Hunde hinter dem Ofen hervorlocken.

In den ruhigeren Momenten des Albums ist man nicht sehr weit von Pink Floyd und ihrem hoffentlichen Testament The Endless River von 2015 entfernt. Was soll man sagen: Handwerk hat goldenen Boden. Wenn man von insgesamt sieben Stücken drei ohne größeres Leiden anhören kann, muss man heutzutage ohnehin von einem kleinen Meisterwerk sprechen. Ist doch so. (schach)

Dr. Lonnie Smith: Evolution (Blue Note / Universal)

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Sein Instrument, die gute alte Hammond-Orgel, habe alles in sich – den Mond, die Erde, den Sturm und das Wasser, Elemente also, die das Leben auf Erden zum Leben werden lassen. Da mag Dr. Lonnie Smith, der solches verkündet, etwas abgehoben klingen. Jeder große Künstler hat allerdings das Menschenrecht auf Privatphilosophie. Es geht letztlich darum, wie besagte Elemente unter den Fingern des Veteranen (geboren in Buffalo, New York im Jahre 1942) Klang und schöne Musik werden. Hierzu gab es in den letzten Jahrzehnten ausreichend interessante Belege: Der Orgel-Doktor, der immer mit einem Turban auf dem Musikerkopf zu erleben ist, hat schon markante Partner mit fettem Sound versorgt.

Es waren dabei Gitarrist George Benson, dessen Quartett Smith in den 1960ern beiwohnte. Die endlose Liste führt auch Namen wie Trompeter Lee Morgan, Saxofonist George Adams, Dizzy Gillespie, Grover Washington junior, Lou Donaldson und Sänger Leon Thomas. Etwas jazzferner ging es zusammen mit den Vokalistinnen Dionne Warwick, Etta James und Esther Phillips zu. Wobei: Aus der Gospel- und Rhythm & Blues-Tradition kommend, ist Doktor Smith ganz selbstverständlich mit allen afroamerikanischen Traditionen verbunden – da ist der Weg vom Jazz zum Soul und Funk nicht weit.

Ronnie Scott's

Auf Evolution (nun eben auf Blue Note erschienen) ist dieser Mix in delikat köchelnder Form zu hören: Dr. Lonnie Smith versammelt um sich eine smarte Band, die frei ist vom ungefähren Dahingrooven. Ein präzises, auf den Punkt gebrachtes Akzentuieren, ein wundersam stimmiges Ineinandergreifen der Instrumente ergibt jenen würdevoll-munteren Rahmen, in dem der Senior seine pointierten Akkordstatements setzt.

Ist ihm nach einem Solo zumute, legt Smith nicht in der ersten Sekunde hitzig los. Da kann es schon sparsam und schrullig, sich quasi an die Momente der Expressivität herantastend, zugehen. Ein bisschen verdreht und versponnen wie bei Thelonious Monk klingt es dann eben. Und vielleicht nicht zufällig ist ja auch Monks Klassiker Straight No Chaser Teil der Evolution-CD.

Vielfach jedoch ist man hier souljazzig und funkig unterwegs und produziert kompakte, belebende Strukturen, über die sich gediegene solistische Ideen erheben. Es wäre Saxofonist Joe Lovano zu nennen, der in Smiths Komposition Afrodesia so raffiniert wie intensiv und bisweilen abstrakt zulangt und nebenbei belegt, dass er einer der Meister unserer Tage ist.

Sein Solo – ein Lehrstück des Pointierten und Ekstatischen, bei dem Emotion und konstruierende Ratio wunderbar harmonieren. Natürlich ist auch Trompeter Maurice Brown zu nennen. Auch er trug dazu bei, dass ein kompaktes Album entstand, das einen alten Herrn wiederbringt, der, wie er sagt, mit 20 eine Ehe mit einem überaus heiklen Instrument schloss, die nach wie vor hält. Für das Tragen des Turbans, sagt Lonni Smith, gebe es im Übrigen keinen speziellen Grund. (tos, Rondo, 18.3.2016)