Brasilia – Der frühere brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva wird neuer Stabschef seiner stark unter Druck stehenden Nachfolgerin Dilma Rousseff. Das geht aus einem am Mittwoch veröffentlichten Kommuniqué des Präsidentschaftsbüros hervor. Durch die neue Aufgabe erhält Lula weitgehende Immunität. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen Geldwäsche und Betrugs.

Beobachter gehen davon aus, dass die Ernennung des in der Bevölkerung weiterhin beliebten Lula eine Hilfe für Rousseff darstellt und nun möglicherweise ein Ende ihrer unbeliebten Sparpolitik ansteht. Die größte Volkswirtschaft Südamerikas macht derzeit eine schwere Rezession durch.

Drei Millionen bei Demonstrationen gegen Rousseff

Rousseff befindet sich derzeit in der schärfsten Krise seit ihrem Amtsantritt 2011. Ihr wird vorgeworfen, Steuergesetze verletzt und Staatsfinanzen manipuliert zu haben, um ihren Wahlkampf zu finanzieren. Die Präsidentin weist das zurück. Am Wochenende demonstrierten Polizeischätzungen zufolge landesweit etwa drei Millionen Menschen für ihre Absetzung.

Noch am Mittwoch wollte der Oberste Gerichtshof darüber entscheiden, nach welchen Regeln ein Amtsenthebungsverfahren gegen Rousseff abzulaufen hat. Dieses war im Dezember von Parlamentspräsident Eduardo Cunha in Gang gesetzt worden.

Abgehörtes Telefonat setzt Rousseff weiter unter Druck

Ein abgehörtes Telefonat zwischen Präsidentin Dilma Rousseff und ihrem Vorgänger Luiz Inacio Lula da Silva setzt die angeschlagene Staatschefin weiter unter Druck. Tausende Demonstranten forderten am Mittwochabend ihren Rücktritt, nachdem Bundesrichter Sergio Moro ein Band veröffentlichte, in dem Rousseff ihrem Vorgänger mitteilt, sie habe das Dekret zu seiner Ernennung zum Stabschef mit besonderen Vollmachten fertig, über das er "wenn nötig" verfügen könne.

Damit sahen die Demonstranten, die sich unter anderem in Brasilia und Sao Paulo spontan versammelten, ihre Vermutung bestätigt, dass Lula das neue Amt nur erhält, um ihn vor Strafverfolgung im Zuge der bereits gegen ihn eingeleiteten Korruptionsermittlungen zu schützen. Rousseff hatte diesen Vorwurf bei der Ernennung ihres langjährigen Weggefährten am Mittwoch zurückgewiesen.

Auch im Kongress in Brasilia sorgte das Bekanntwerden des Telefonats für Aufruhr. "Rücktritt, Rücktritt", skandierten die Abgeordneten der Opposition in Unter- und Oberhaus.

Korruptionsskandal um staatlichen Ölkonzern

In einer Erklärung kündigte die Präsidentschaft am Abend nicht näher bezeichnete Maßnahmen gegen Moro wegen eines "unverhohlenen Verstoßes gegen das Gesetz und die Verfassung" an. Rousseff habe Lula das Dekret nur zur Unterschrift geschickt, da er zu seinem geplanten Amtsantritt an diesem Donnerstag nicht in Brasilia sein werde. Zunächst hatte es geheißen, Lulas Amtsantritt sei für kommenden Dienstag vorgesehen.

Die Staatsanwaltschaft wirft Lula vor, in den Korruptionsskandal um den staatlichen Ölkonzern Petrobras verwickelt zu sein. Am 4. März war er bereits vorübergehend festgenommen und zu Vorwürfen der Korruption und Geldwäsche befragt worden. Am Montag zog der für die Petrobras-Affäre zuständige Bundesrichter Moro die Ermittlungen gegen Lula an sich. Als Stabschef könnte dem 70-Jährigen nur das Oberste Gericht den Prozess machen.

Illegale Wahlkampffinanzierung

Nach Angaben von Vertrauten soll Lula die angeschlagene Präsidentin vor einem Sturz bewahren. Lula, der während Brasiliens Wirtschaftsboom von 2003 bis 2010 an der Staatsspitze stand, soll einen der einflussreichsten Posten in der Regierung übernehmen – eine Funktion zwischen Stabschef und Ministerpräsident. Unter Lula hatte Rousseff dasselbe Amt inne, bevor sie ihn an der Staatsspitze ablöste.

Rousseff droht möglicherweise schon bald die Amtsenthebung. Die konservative Opposition wirft ihr vor, ihren Wahlkampf 2014 illegal mit Spenden von Zulieferern des Energiekonzerns Petrobras finanziert und den Haushalt 2014 sowie im ersten Halbjahr 2015 geschönt zu haben. Ein Gericht erklärte den Etat im vergangenen Oktober wegen zahlreicher Unregelmäßigkeiten für illegal.

Drei Millionen demonstrierten

Doch ein Amtsenthebungsfahren gegen Rousseff wurde vom Obersten Bundesgericht vorläufig gestoppt. Viele Brasilianer machen die 68-Jährige für Rezession, Teuerung sowie explodierende Schulden verantwortlich. Sie werfen ihr zudem vor, ihre chaotische Regierung nicht in den Griff zu bekommen.

Der langjährige Koalitionspartner PMDB hatte sich am Samstag 30 Tage Zeit gegeben, um endgültig über einen Ausstieg aus dem Regierungsbündnis zu entscheiden. Einen Tag später waren mehr als drei Millionen Menschen gegen Rousseff auf die Straße gegangen. Regulär endet ihre Amtszeit Ende 2018. (APA, Reuters, 16.3.2016)