Im Debattenstrom der Flüchtlingsproblematik geht oft nicht nur die Humanität baden, sondern auch alle anderen Themen. So die grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem Pensionsgipfel, auch Gipferl genannt. Aber ist mehr als ein Gipferl möglich?

Falsche Voraussetzungen

Ein Treffen in den Höhen der Achttausender zu erwarten geht von falschen Voraussetzungen aus. Eine Maus möge kreißen und ein Himalaja werde geboren? Das ist verstiegen bei Planungszeiträumen, die Jahrzehnte umfassen. 1986 wusste niemand, dass wir dreißig Jahre später mit Millionen Flüchtlingen konfrontiert sein würden. Und wir können nicht wissen, mit welchen Problemen wir es 2050 zu tun haben werden.

Man muss es wiederholen: Um 1900 waren 45 Prozent der Bevölkerung in der Landwirtschaft beschäftigt. Die Idee, nur vier Prozent würden hundert Jahre später den Bauernstand bilden, hätte zur Prognose von Hungersnöten geführt. Die "große" Pensionsreform zur Lösung der Probleme von 2050 gibt es nicht, weil das Wissen um die Zukunft fehlt. Alle Modelle, die uns heute schrecken sollen, sind banale Hochrechnungen. In der Pensionsdebatte ist es klug, nur über jene Brücken zu gehen, die man erreicht hat. Pensionsparanoiker aber wollen Brücken bauen, wo weit und breit kein Fluss vor sich hinplätschert.

Fragwürdiger Faktor

Der derzeitige Fokus auf einen einzigen Parameter, den demografischen Faktor, ist fragwürdig. Es handelt sich eher um einen dämografischen Faktor, fixiert auf die Altersstruktur der Gesellschaft und wenig aussagekräftig bezüglich zukünftiger Leistungskraft. Monokausale Ausrichtungen führen fast immer in die Irre. Entscheidend für die Altersversorgung ist nicht die Anzahl der Aktiven, sondern ob die alles herstellen können, was für die Bedarfsdeckung nötig ist. Die Versorgung der Jungen und Alten (es geht nicht nur um die Pensionen) ist vorwiegend eine Frage der von vielen Faktoren abhängigen Produktivität.

Alles Geld der Welt nutzt nichts, wenn keine Produkte vorhanden sind. Umgekehrt sind alle Produkte wertlos, wenn sie nicht zu den Leuten gelangen. Wir stehen nicht vor einem demografischen, sondern vor einem tatsächlich vielschichtigen Verteilungsproblem.

Diese Verteilungsfrage wird sich noch viel massiver stellen, wenn die Szenarien von Industrie 4.0 tatsächlich eintreten, wenn der technische Fortschritt tatsächlich mehr bezahlte Arbeitsplätze vernichten sollte, als er zu schaffen vermag. Der Imperativ längeren Arbeitens erwiese sich endgültig als absurd. Käme es zu diesem Szenario, stellte sich die Frage der Mindestsicherung völlig neu, infolgedessen auch die Anforderungen an das Pensionssystem. Die gesellschaftliche Güterverteilung müsste grundlegend neu organisiert werden. Mit manchesterliberalen Ideen (irrtümlich neoliberal genannt) wird man nicht weit kommen.

Altersarmut

Pensionskürzungen für die "Jungen" führen in Zukunft zu Altersarmut und geringerer Kaufkraft. Szenarien, in denen die Gesamtnachfrage keine Rolle spielt, sind zum Scheitern verurteilt. Der große Haken des "Pensionskontos": Es funktioniert nur bei durchgehenden Erwerbsbiografien. Davon kann bei der Generation "Prekariat" keine Rede sein. Ist das Pensionskonto "gerechter" als die frühere Durchrechnung der fünfzehn besten Erwerbsjahre? Die wurden erfunden, weil die Vorkriegs- und Kriegsjahrgänge ein ähnliches Problem hatten: lange Zeiten ohne jedwede Erwerbstätigkeit.

Ist ein System gerecht, das alle über einen Kamm schert? Wer kann bis zum 68. Lebensjahr auf der Baustelle "hackeln"? Die Frühpensionen abzuschaffen und allen eine längere Lebensarbeitszeit aufs Aug zu drücken benachteiligt jene, die mit schwerer körperlicher Arbeit bei oft geringen Bezügen ihr Leben fristen. Wo sind Überlegungen, körperlich ausgelaugte Menschen nicht doppelt zu bestrafen? Es ist eine Illusion, alle mit Reha "ertüchtigen" zu können. Ersatzarbeitsplätze für solche Menschen gibt es nicht.

Privater Irrweg

Private Zusatzvorsorge ist für viele ein nicht bezahlbarer Irrweg, die Erträge haben Lotteriecharakter, die Einzahlungen sind eine Wette gegen den eigenen Arbeitsplatz. Wenn jemand in einer Hausse teuer einsteigt und in der Baisse in Pension geht? Pech gehabt! Praktisch gesehen ist es schnurz, ob man sich höhere staatliche Pensionsbeiträge oder die Zusatzpension nicht leisten kann. Auch unter dem Aspekt der Demografie ist es egal, ob die Alterssicherung mittels staatlichen Generationenvertrags oder privater Ansparpension erfolgt, denn Geld kann man nicht essen. Sparguthaben sind per se wertlos, sie können nur konsumiert werden, wenn das entsprechende Güter- und Dienstleistungsaufkommen vorhanden ist.

Wenn man von Demografie plauscht, sollte man diesen Aspekt nicht unterschlagen. Es sind immer die im Erwerbsle- ben Stehenden, die mit ihrer Arbeit den diversen Geldguthaben materiellen Wert verleihen.

Es ist Zeit, sich bei der Pensionsdebatte wieder an den Bedürfnissen der Menschen und nicht an denen der Pensionsfonds und ihrer ideologischen Helfershelfer zu orientieren. Übrigens: Klüger als das verzweifelte Quantitative Easing der Europäischen Zentralbank wäre es allemal, diese Gelder in die Pensionssicherung zu stecken. (Michael Amon, 16.3.2016)