US-Präsident Barack Obama: "Schwarzfahrer ärgern mich", sagte er in "The Atlantic". Damit sind die Europäer und die Araber gemeint, die stets nach dem Eingreifen der USA rufen, aber selbst wenig tun.

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Washington/Wien – Als politisches Resümee eines US-Präsidenten, der das Weiße Haus erst in einem Dreivierteljahr verlassen wird, kommt das große Obama-Feature Jeffrey Goldbergs in The Atlantic etwas früh – und wird sein Verhältnis zu einigen seiner Partner in seinem letzten Jahr im Amt nicht einfacher machen. Am augenscheinlichsten verärgert zeigt sich Saudi-Arabien, dessen Exbotschafter in den USA, Prinz Turki al-Faisal, der öfter als Sprachrohr für das Königshaus fungiert, auf Arab News einen Gastkommentar publizierte: "Mr. Obama, wir sind keine Schwarzfahrer".

Goldberg hat über die Jahre hinweg den US-Präsidenten immer wieder interviewt, die Themen weitergesponnen, was dem Reflexionsgrad beider, des Interviewten und des Interviewers, guttut: ein Luxus, der normale Journalisten, die jeden noch so banalen von einem Politiker ergatterten Wortschnipsel sofort reproduzieren müssen, mit Neid erfüllt. Goldberg nennt seinen Artikel "The Obama Doctrine". Es geht aber darin besonders um Nahost-Politik, und hier wiederum, als Angelpunkt, um Obamas Entscheidung, im August 2013 das Erwartete nicht zu tun und Syriens Machthaber Bashar al-Assad nicht zu bombardieren, was ihm bei manchen Partnern – allen voran Saudi-Arabien – den Ruf eines hoffnungslosen Softies eintrug.

"Der schlechteste Grund"

Insofern wäre Teil der Doktrin Barack Obamas etwa der Satz "Jemanden zu bombardieren, um zu beweisen, dass man ihn zu bombardieren gewillt ist, ist so ziemlich der schlechteste Grund". Seine Berater, unter anderen US-Außenminister John Kerry, der auch das Denken der nahöstlichen Partner besser kennt, argumentierten aber im Sommer 2013 genau in diese Richtung: Wenn ein US-Präsident eine rote Linie zieht – den Einsatz von chemischen Waffen im Syrien-Konflikt -, dann muss er sich selbst an diese Linie halten. Auch Kerrys Vorgängerin Hillary Clinton sah es so: "Wenn du sagst, du wirst zuschlagen, dann musst du zuschlagen. Da gibt es keine Wahl."

Es ging um die C-Waffen

Barack Obama hingegen sperrt sich innerlich gegen diese und andere Erwartungshaltungen an einen US-Präsidenten – und traf seine Entscheidung 2013 nach anderen Kriterien: Durch einen Militärschlag konnte man die Bedrohung durch das syrische C-Waffenarsenal nicht ausschalten. In der von Goldberg wiedergegebenen Version der Geschichte spricht Obama Russlands Präsidenten Wladimir Putin an, der dann Assad zur Aufgabe seiner chemischen Waffen überredet.

2013 spielte – falsche Einschätzung, nicht nur der USA – der "Islamische Staat" (IS) eine noch nicht so große Rolle, aber retrospektiv ist die Annahme, dass Regime-Chemiewaffen in signifikanter Qualität und Quantität in IS-Hände hätten fallen können, realistisch. Es war tatsächlich wichtiger, sie wegzubekommen, als Assad zu bombardieren.

Obamas Verbündete und die syrische Opposition sahen das anders, für sie war ja prinzipiell das Nichteingreifen der USA in Syrien Grund dafür, dass der Aufstand zum konfessionell konnotierten Krieg metastasieren konnte. Obama wiederum wirft Saudi-Arabien vor, an der ideologischen Misere des Islam, am Hochkommen des islamistischen Radikalismus in Syrien und anderswo mitschuldig zu sein. In seiner wütenden Antwort erinnert Turki Obama daran, dass Saudi-Arabien bei der Terrorismus-Bekämpfung ganz vorn dabei ist – und auch daran, dass den USA die Partnerschaft mit den Saudis viel Geld bringt.

Obama dürfte für sich früh die Frage gestellt haben, ob die US-saudische Partnerschaft wirklich so unverzichtbar ist – in Turkis Antwort wird klar, dass vor allem die Alternative die Saudis in Rage versetzt: die US-Normalisierung mit Teheran, die Obama, ohne übertriebene Erwartungen, betreibt. Laut Goldberg erwartet er jedoch von Riad, die Region mit den Iranern zu "teilen".

Erdogan und Netanjahu

Was die nahöstlichen Staatsmänner betrifft, zeigt sich Obama besonders vom türkischen Präsidenten Tayyip Erdogan enttäuscht, aber auch von Israels Premier "Bibi" Netanjahu – über dessen Arroganz sich aber auch schon US-Politiker beschwerten, die an sich gute Beziehungen zu ihm hatten. Obama beschreibt eine Szene, in der er Netanjahu mehr oder weniger auffordert, er solle aufhören, ihn wie einen Idioten zu behandeln: Er sei nämlich der Präsident der Vereinigten Staaten.

Warum greifen wir nicht ein?

Die Frage, im Text paradigmatisch gestellt von einem CNN-Reporter, verfolgt jeden US-Präsidenten: "Why can't we take out these bastards?" Warum greifen die USA nicht ein, um diesen oder jenen zu erledigen und die Ordnung wiederherzustellen? Für Obama gibt es Fälle, bei denen das US-Interesse nicht groß genug und das Risiko zu groß ist. In Libyen weigerte er sich, in den Führersitz zu steigen, und überließ den potenziellen "Schwarzfahrern", Europäern und Arabern, die nominelle Leitung. Die "Angeberei" Präsident Nicolas Sarkozys über den französischen Beitrag lässt er durchgehen: Wenn es das ist, was die anderen brauchen, um die Sache weniger kostspielig für die USA zu machen, so ist es das wert.

Europa kommt im Atlantic-Feature sonst so gut wie nicht vor. Obamas Blick ist nach Asien gerichtet. Dass auch der Nahe Osten für die USA an Bedeutung verliert, macht ihre dortigen Partner so nervös. Obama hat die Idee aufgegeben, die Region zu reparieren. (Gudrun Harrer, 17.3.2016)