Bezeichnenderweise war es eine österreichische Zeitung, welcher Expremier Mykola Asarow sein erstes Interview nach langer Zeit gewährte, hat er doch alte Verbindungen nach Österreich. Hierher ist er gekommen unmittelbar nach seiner Abdankung im Jänner 2014 als Folge wochenlanger Straßenproteste, die seine Regierung durch die Nichtunterzeichnung des Assoziationsabkommens mit der EU provoziert hatte.

Im Interview ("Braucht ihr ein zweites Syrien?", der STANDARD vom 4. 4. 2016) stellt Asarow die Dinge auf atemberaubende Weise auf den Kopf: Der gegenwärtige Präsident und sein Premier seien Kleptomanen, während zu seiner Zeit als Premier die Regierung der Ukraine in keinerlei Korruptionsskandale verwickelt gewesen sei. Ich selbst habe während meiner 15-jährigen Tätigkeit als investigativer Journalist dutzende Artikel über die Korruptionspraktiken Asarows und seines Patrons Janukowytsch geschrieben wie auch über die Vermögenswerte, welche ihre Familien in dieser Zeit akkumulierten.

Zu einem Symbol der Selbstbereicherung ist Mezhyhirja geworden, eine Residenz, die Janukowytsch in der Nähe von Kiew hatte errichten lassen. Nach seinem Sturz wurde sie für die Bevölkerung geöffnet, die nun mit eigenen Augen den fantastischen Luxus sehen konnte, in dem der ehemalige Präsident geschwommen war, während sein Land gleichzeitig verarmte. Heute ist der Palast ein touristisch beliebtes Mahnmal, das ein Korruptionsmuseum beherbergt.

Im Gegensatz zu Janukowytsch versteckte Asarow seine Reichtümer in Westeuropa. Seiner Familie gehören in Österreich mindestens vier Anwesen, eines in Mariazell, die anderen in prestigeträchtigen Bezirken Wiens. Alle sind auf seinen Sohn registriert, der diese Immobilien erworben hat, obwohl sein Gehalt als Staatsangestellter ihm dies niemals ermöglicht hätte.

Korruption ist das Hauptproblem der Ukraine seit deren Unabhängigkeit 1991, aber in der Zeit Janukowytschs erreichte sie ein nie dagewesenes Ausmaß. Im letzten Jahr der Tätigkeit von Asarow als Premierminister fiel die Ukraine auf Platz 144 im Korruptionsranking von Transparency International, also dorthin, wo Länder wie Kamerun und Papua-Neuguinea rangieren. Auch heute noch leidet das Land unter Korruption, doch nach dem Fall des Regimes Janukowytsch hat ein einschneidender Wandel stattgefunden: Es gibt in der ukrainischen Gesellschaft heute null Toleranz gegenüber Korruption, und das ist es, was die Politiker dazu zwingt, den Kampf dagegen auf ihre tägliche Agenda zu setzen.

Im Dezember letzten Jahres nahm das nationale Antikorruptionsbüro seine Arbeit auf, das mittlerweile gegen mehr als 70 hochrangige Staatsbeamte ermittelt. Einer von ihnen, ein enger Verbündeter von Premierminister Jazenjuk, Mykola Martynenko, musste dem öffentlichen Druck weichen und sein Mandat niederlegen. Dasselbe gilt für zwei Generalstaatsanwälte, welche nach allgemeinem Dafürhalten zu träge gegen die Korruption vorgegangen waren. So etwas wäre vor einigen Jahren noch undenkbar gewesen.

Man kann von einem Prozess des langsamen, aber unumkehrbaren Wandels in der politischen Kultur der Ukraine sprechen. Das Parlament hat ein Gesetz gegen politische Korruption verabschiedet, dank dessen die Parteien nunmehr durch das Staatsbudget finanziert werden. Derartige Regelungen, die in allen europäischen Ländern selbstverständlich sind, sollen die Abhängigkeit der Politiker von den Oligarchen brechen. Die neue Regierung hat auch die Aufdeckung von Korruption wesentlich erleichtert, indem sie einschlägige, staatlich geführte Register öffentlich machte. Als ehemaliger Journalist weiß ich, wie wichtig es ist, Zugang zu offiziellen Informationen über die Eigentümer von Unternehmen, Vermögen, Immobilien und Land zu haben. Hier ist heute in der Ukraine Transparenz eingekehrt.

Natürlich ist Korruption aus der ukrainischen Politik nicht gänzlich verschwunden, aber wir bewegen uns heute auf einem unvergleichlich viel niedrigeren Niveau als in den Zeiten von Janukowytsch und Asarow. Im Jahre 2015 verbesserte sich die Position des Landes im Korruptionsranking immerhin um 13 Plätze.

Im Kampf gegen die Korruption vereinigen sich die Kräfte der Zivilgesellschaft mit einer jungen Generation von Politikern – den Trägern eines neuen Geistes nach der "Revolution der Würde" von 2013/14. Dieser Wandel war auch ausschlaggebend für die positive Beurteilung seitens der Europäischen Kommission hinsichtlich der Perspektive für die Integration des Landes in die EU. Die Ukraine befindet sich mittlerweile im letzten Stadium der Gewährung von Visafreiheit.

Ein weiteres Element positiver Entwicklung zeigt sich in der Gesetzgebung zum Schutze sexueller Minderheiten. Im Frühjahr 2015 beschloss das Parlament ein diesbezügliches Diskriminierungsverbot – undenkbar zu Janukowytschs Zeiten -, und im Juni gab es in Kiew die erste große LGBT-Demonstration. Die Zivilgesellschaft spielte auch hier eine aktive Rolle, indem sie Demonstrationen vor dem Parlament zur Unterstützung des Anliegens veranstaltete. Gerade Mykola Asarow, welcher mit Anschuldigungen gegen die neue Regierung um sich wirft, exponierte sich seinerzeit mit offen homophoben Äußerungen.

Schrittweise arbeitet sich die Ukraine hinaus aus jenem Abgrund von Korruption und Rückständigkeit, in den unser Land durch Janukowytsch und seinen treuen Verbündeten Asarow gestoßen wurde. (Serhij Leschtschenko, 15.3.2016)