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Am Wochenende erobern als Manga- und Comic-Figuren verkleidete Cosplayer wieder das Gelände. Bis dahin liegt der Fokus aber auf Belletristik und Sachbuch, Hörbuch und neuen Medien.

Foto: dpa/Hendrik Schmidt

Lesen erweitert den Horizont. Das würde man den noch immer, wiewohl auch weniger stetig durch das sächsische Leipzig marschierenden Pegida- und Legida-Soldaten gern gönnen. Gelegenheit zur Erfüllung des frommen Wunsches böte sich dieser Tage zumal direkt vor der Haustür. Es ist nämlich wieder Leipziger Buchmesse, die in jedem Jahr traditionell erste Eventisierung des Buches und seiner Staben (zurückgehend auf den kräftigen Zentralstrich der germanischen Runen – wenn das kein Argument ist!).

"Europa im Zeichen von Zuwanderung und Integration" lautet statt eines Länderschwerpunkts (2017: Litauen, 2018: Rumänien) das diesmalige Schwerpunktthema. Lesungen und Diskussionen werden dem in Sonderveranstaltungen wie Europa21 Rechnung tragen. Denn: "Der Umgang mit Flüchtenden und Migrationsbewegungen wird (...) die zentrale Herausforderung in den nächsten Jahrzehnten bleiben", so Buchmessedirektor Oliver Zille. Ort und Ansinnen greifen dabei nicht zuletzt insofern ineinander, als die Halle 4, für die nächsten vier Tage Standort etwa des Österreich-Kaffeehauses, vergangenen Herbst bis Dezember provisorisch zum Flüchtlingslager umfunktioniert worden war. Der Fokus solle, so Zille, zu einer Versachlichung der Debatte beitragen.

Zu einer solchen soll auch die Verleihung des Leipziger Buchpreises zur Europäischen Verständigung das Ihrige tun. Im Rahmen der Messeeröffnung geht die Auszeichnung (15.000 Euro) am Mittwochabend an den deutschen Historiker Heinrich August Winkler. Soeben ist der letzte Teil seiner vierbändigen Geschichte des Westens (C. H. Beck) erschienen, in der er, begründete die Jury, "klar und übersichtlich den jahrhundertelangen Kampf um die Umsetzung der menschenfreundlichen Errungenschaften der Revolutionen von 1776 und 1789 beschreibt".

Buchmetropole mit Tradition

Noch weiter als jener reicht übrigens die Geschichte der Buchmesse in dieser Stadt zurück, deren Kunstuniversität sich noch heute Hochschule für Grafik und Buchkunst nennt. Im 16. Jahrhundert, einer Blütezeit für allerlei Messen, war Leipzig nämlich dank der Reformation zum viertwichtigsten Druckort des Kontinents aufgestiegen. 1632 wurden hier schließlich erstmals mehr Bücher ausgestellt als bei der um wenige Jahre älteren Konkurrenz in Frankfurt. Erst mit dem Zweiten Weltkrieg und dem Bau der Mauer eroberte sich die Stadt am Main den Rang als größter Branchentreff im Sprachraum zurück. Sie hält ihn bis heute sicher.

Seit der Wiedervereinigung fokussiert Leipzig deshalb statt auf die Verlegerschickeria auf die Leser. "Leipzig liest" heißt das europaweit größte Lesefest seiner Art, zu dessen 25-Jahr-Jubiläum diesmal 3000 Schriftsteller und Prominente in 3200 Veranstaltungen an mehr als 400 imposanteren und versteckteren Orten im Stadtgebiet, von der Alten Handelsbörse bis zum Apothekenmuseum, den Leserohren zu Diensten sein werden. Und der Plan geht auf.

250.000 Besucher werden heuer von rund 2200 Ausstellern aus 44 Ländern erwartet. Das sind minimal weniger Druckerzeuger als zuletzt, allerdings schrumpfte der Buchmarkt 2015 auch um rund 1,7 Prozent. Gelegenheit zum Schmökern sollte es bei mehr als 100.000 Titeln, davon 20.000 Neuerscheinungen, die am Gelände aufliegen, trotzdem genug geben. Aus Österreich sind etwa 200 Verlage mit von der Partie.

Stimmungstest im Frühling

Vor ihren anderen Großveranstaltungen stattfindend, gilt die Frühlingsmesse als Stimmungstest der Branche, will jedoch ebenso Vorhut sein. Dass die Ausstellungsfläche sich 2016 auf nahezu 100.000 Quadratmeter vergrößert, dafür zeichnet etwa die seit 2014 dazugehörige Manga-Comic-Convention verantwortlich. Eine wirkliche Neuerung gibt es hingegen mit der erstmals stattfindenden "Bloggerkonferenz", die der wachsenden Bedeutung der Onliner für den Betrieb – Stichwort: Book Haul – Genüge tun soll.

Am Donnerstag, dem ersten offiziellen Messetag, werden noch die drei Herzstück-Preise der Buchmesse für Belletristik, Sachbuch/Essayistik und Übersetzung vergeben. Die Shortlist für Belletristik überraschte manche, mehr dazu im Buchmessen-Tagebuch morgen. (Michael Wurmitzer, 15.3.2016)