Graz – Der Stuhl, auf dem sonst die Tschetschenisch-Dolmetscherin sitzt, ist heute leer. Das dürfte wohl direkt Folge der Vorkommnisse Ende letzter Woche sein, als bekannt geworden war, dass die Frau mit einem ehemals Beschuldigten liiert ist.

Jetzt übernimmt ihre Kollegin, die Russisch-Übersetzerin, ihren Part in diesem Prozess um sechs angeklagte Tschetschenen, denen teilweise Teilnahme an einer terroristischen Vereinigung oder Falschaussage vorgeworfen wird.

Jedenfalls egal, ob mit oder ohne Dolmetscherin: Die meisten Zeuginnen, die am Montag vor Gericht beim Grazer Jihadistenprozess aussagen, verstehen ohnehin Deutsch und Richter und Staatsanwalt beißen sich die Zähne aus, um die Zeuginnen zumindest dazu zu bringen, ihre seinerzeitigen Aussagen vor der Polizei im Gericht zu bestätigen. Die Gesprächsführung entwickelt sich bisweilen einigermaßen zäh.

Richter: "Wo ist ihr Gatte?"

Zeugin: "Weiß ich nicht."

Richter: "Ist er gestorben?"

Zeugin: "Weiß ich nicht."

Richter: "War er in Syrien kämpfen?"

Zeugin: "Weiß ich nicht."

Der Richter lässt sich erschöpft in den Stuhl fallen: "Ich glaub', ich bin auf einem anderen Planeten."

Richter und Staatsanwaltschaft versuchen von gut dutzend Zeuginnen und Zeugen der Grazer Tschetschenen-Community bestätigt zu bekommen, dass – wie sie zum Teil in Polizeiverhören zu Protokoll gaben – ein Grazer Imam, der als Beschuldigter auf der Anklagebank sitzt, junge Männer verleitet haben soll, nach Syrien in den Jihad zu ziehen.

"Wir lassen uns nicht veräppeln"

Dann tritt eine junge Frau mit schwarzem Wuschelkopf und großen Ohrringen auf. Sie bringt Ankläger und Richter auf die Palme: "Wir lassen uns nicht mehr veräppeln", strapaziert der Richter seine Stimmbänder, "entweder Sie sagen jetzt die Wahrheit oder ich lasse Sie abführen." Im Vorverfahren hatte sie ausgesagt, sie habe gehört, dass der Imam eine zentrale Rolle bei der Rekrutierung junger Männer gespielt habe. Sie kenne den Mann gar nicht und Teile des Protokolls seien falsch formuliert, sagt die eloquente Frau, die in Graz eine Abendschule besucht. Mit ihrem girlyhaften Auftreten in modischem Outfit irritiert sie dann mit Aussagen, wie: "Ein richtiger Muslim kann nur nach der Scharia leben." Aber das sei in Österreich nicht möglich.

Zuvor saß eine verschüchterte, 16 Jahre alte Tschetschenin mit langen offenen Haaren im Zeugenstuhl. Sie wollte – als sie eigentlich noch ein Kind mit 15 Jahren war – nach Syrien fahren. Heute weiß sie nicht mehr, was sie vor der Polizei ausgesagt hatte, weiß wenig von all den Gerüchten um junge Grazer Muslime in Syrien. "Es war gelogen", sagt sie. Dass sie in den islamischen Staat wollte, habe sie bereut. "Ich war jung, ich mache so etwas nicht mehr."

"An Schuld kein Zweifel"

Am Nachmittag folgte das Urteil: Der Prediger einer Grazer Moschee wurde – nicht rechtskräftig – zu sechs Jahren Haft verurteilt. Es war die höchste Strafe, die an diesem Tag verhängt wurde. Er habe durch seine Predigten Männer bewogen, nach Syrien zu gehen, wenn es ihm auch nicht in allen angeklagten Fällen nachgewiesen werden habe können, hieß es in der Urteilsbegründung. Bei den beiden anderen Männern bestehe "an der Schuld kein Zweifel", so der Richter. Beide sind nach Meinung des Gerichts als Kämpfer für die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) tätig gewesen und müssen jeweils fünf Jahre Haft verbüßen.. Die junge Frau, die mit drei Kindern nach Syrien gehen wollte, wurde zu 15 Monaten Haft, davon ein Monat unbedingt, verurteilt. Ihre Schwester und ihre Mutter kamen wegen Falschaussage mit drei bzw. fünf Monaten bedingt davon. (mue, APA, 14.3.2016)