Wandstickerei mit hinzugefügten Zeitungsinseraten von 1942 (Lena Rosa Händle): Damen wünschen lesbische Bekanntschaften zu machen ("zwecks Kino und Theater").


Foto: Lisa Rastl / Akademie der bildenden Künste

Seiten aus dem Akademie-Jahrbuch von 1941 wurden kommentiert und eingeordnet. Sie zeigen Arbeiten von Studenten und Lehrenden des Jahrgangs.

Foto: Lisa Rastl/Akademie der bildenden Künste

Wien – Weltanschauliche Umerziehung hatte es an der Wiener Kunsthochschule nach dem Anschluss an Nazideutschland nicht gebraucht. In den 1930er-Jahren treu dem Ständestaat ergeben, waren viele Professoren zugleich bereits in den illegalen Nationalsozialismus involviert gewesen.

Mit 13 Personen (20 Prozent des Kollegiums) sind im Vergleich zur Universität Wien auch relativ wenige ihres Dienstes enthoben worden. Zwei Drittel der in der NS-Zeit tätigen Lehrenden waren NSDAP-Mitglieder. Entnazifiziert wurde nach 1945 nur unzureichend. Vier Professoren durften weiter unterrichten.

Mit der Publikation Die Akademie der bildenden Künste Wien im Nationalsozialismus (2015) hat die Kunst-Uni im Vorjahr begonnen, ihre NS-Vergangenheit gründlich aufzuarbeiten. Das im Böhlau-Verlag erschienene Buch der Wiener Historikerin Verena Pawlowsky nimmt Lehrende, Studierende und Verwaltungspersonal der NS- und unmittelbaren Nachkriegszeit unter die Lupe.

Lehrpläne von 1941

Mit der Ausstellung Unheimliche Materialien – Gründungsmomente der Kunsterziehung widmet man sich nun einem Teilbereich: der Gründung des Instituts für das künstlerische Lehramt, das auf Drängen der Akademie im Juli 1941 vom Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung geschaffen wurde.

Die Kuratorinnen Elke Krasny und Barbara Mahlknecht, beide Lehrende am heutigen Institut, haben die Ausstellung in den xhibit-Schauräumen der Akademie als künstlerisch-forschende Auseinandersetzung entworfen. An zwei Arbeitstischen kann man sich durch die in ihrer trockenen Banalität unheimlichen Dokumente der NS-Hochschulbürokratie wühlen: Zu sichten sind Personallisten, Prüfungsordnungen oder Lehrpläne von 1941 – dem Jahr, in dem das Regime mit dem Angriff auf die Sowjetunion und der "Endlösung der Judenfrage" zum Vernichtungskrieg überging.

An die Wand gepinnte und biografisch kommentierte Seiten des Jahrbuchs von 1941 geben Einblick in die Kunstproduktion damaliger Professoren und Studenten der Akademie (Bearbeitung: Anna Artaker): Getreu der NS-Ideologie reihen sich blonde Mädel, Bäuerinnen und strenge Männerbüsten, aber auch christliche Motive aneinander.

Lesbische Liebe im NS-System

Ergänzt werden diese Archivarbeiten durch künstlerische Interventionen, die sich unterschiedlich mit dem NS auseinandersetzen. Auf einem nachgedruckten Wandteppich mit Stickereien, wie sie zur NS-Zeit üblich waren, fügt die Künstlerin Lena Rosa Händle zwei Zeitungsinserate von 1942 hinzu: Sätze wie "Dame wünscht Freundin zwecks Kino und Theater" galten heutigen Erkenntnissen nach als Codes, mit denen nach lesbischen Bekanntschaften gesucht wurde.

Eine raumgreifende Installation aus Wolle von Zsuzsi Flohr und Eduard Freudmann mit Musik von Benjy Fox-Rosen thematisiert Aspekte der Gedenkkultur auf dem Wiener Morzinplatz, dem einstigen Standort des Gestapo-Hauptquartiers. Die Arbeiten von Minna L. Henriksson und Hansel Sato greifen zentrale Symbole des Nationalsozialismus auf und fragen nach ihrer Universalität: Henriksson zeigt den Einsatz des Swastika-Ornaments an Gebäuden aus dem 19. Jahrhundert in Helsinki. Satos collagierte Comicstrips zeichnen nach, wie der preußische Stechschritt Eingang in lateinamerikanische Schulen gefunden hat.

Die auf den ersten Blick sperrige Ausstellung wird durch ein umfassendes Vermittlungs- und Workshopprogramm begleitet. Schließlich öffnet oft erst die Vertiefung ins Kleingedruckte wertvolle Erkenntnisse. Getan soll es damit an der Akademie nicht sein – Direktorin Eva Blimlinger steht für weitere Aufarbeitung der dunklen Jahre, immer mit dem Gedanken, historische Forschung auch durch künstlerische Praxis voranzutreiben. (Stefan Weiss, 13.3.2016)