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Die US-Stadt Detroit kämpft seit dem Abzug der großen Automobilproduzenten mit hoher Arbeitslosigkeit und massiven wirtschaftlichen Problemen. "Nafta hat dazu beigetragen", sagt Celeste Drake.

Foto: Reuters / Rebecca Cook

STANDARD: US-Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders hat kürzlich die Vorwahlen in Michigan gewonnen, wo die Autostadt Detroit mit hoher Arbeitslosigkeit kämpft. Welche Rolle spielt der Freihandel im Wahlkampf?

Drake: Ich glaube, das Thema hat einen riesigen Einfluss. Den Leuten wurde gesagt, unter Nafta würde es zwar zu Arbeitsplatzverlusten kommen, aber hauptsächlich, dass sie bessere Jobs und Gehälter bekommen würden, weil so freier Handel funktioniere. Aber die Produktionsanlagen in Detroit wurden geschlossen, und es kam nichts nach. Nafta hat dazu beigetragen. Die Präsidentschaftskandidaten wissen, dass sie mit Ablehnung gegenüber Freihandelsabkommen Wähler gewinnen können, auch wenn Demokraten und Republikaner verschiedene Gründe haben, dagegen zu sein. Alle wollen von der wirtschaftlichen Unsicherheit profitieren, die die Menschen spüren.

STANDARD: Überwiegen die Vorteile von Freihandelsabkommen gegenüber den Arbeitsplatzverlusten?

Drake: Theoretisch könnten sie das. Ich glaube aber nicht, dass sie das tun. Es bedarf regulierender Maßnahmen, damit Arbeitnehmer von dem Wohlstand, den sie schaffen, partizipieren können. Das nordamerikanische Freihandelsabkommen sieht solche nicht vor. TTIP übrigens auch nicht.

STANDARD: Welche Maßnahmen wären das?

Drake: Starke Vorschriften in Bezug auf Arbeitnehmersicherheit. Es muss garantiert werden, dass Mitarbeiter nicht entlassen werden, wenn sie sich gewerkschaftlich organisieren. So können sie mehr sozialen Schutz ausverhandeln, damit sie, falls sie ihren Job verlieren, nicht sofort auch ihre Familien nicht mehr ernähren können oder ihr Haus verlieren. Im Gegensatz zu Europa existiert dieser Schutz in den USA kaum, umso weniger im Nafta-Vertragsstaat Mexiko. Entgegen allen Versprechungen führte Nafta zu einer Erosion der Rechte von Arbeitnehmern in Kanada und den USA, die jetzt mit mexikanischen Arbeitern konkurrieren müssen. In Verhandlungen können Firmen einen Standortwechsel nach Mexiko als Druckmittel gegen ihre Mitarbeiter einsetzen. Firmen haben zweifellos stark von Nafta profitiert, aber sie teilen ihre Gewinne nicht.

STANDARD: Glauben Sie, dass TTIP einen ähnlichen Effekt haben wird?

Drake: Ja. Was ist der Sinn dieser Vereinbarungen? Ich glaube nicht, dass es ein Zufall oder Fehler ist, dass Nafta Gewerkschaften in den USA und Kanada unterminiert hat. Das wurde so konzipiert. Wenn TTIP auf denselben Prinzipien wie Nafta basiert, und danach sieht es aus, werden die Auswirkungen sehr ähnlich sein. In diesem Fall wird die Drohung einer Übersiedlung in die USA dafür genutzt werden, europäische Arbeitnehmer unter Druck zu setzen.

STANDARD: Laut der Europäischen Kommission werden europäische Standards durch TTIP geschützt. Wieso gibt es dennoch Bedenken?

Drake: Weil die Verhandlungen hinter verschlossenen Türen geführt werden. Es stimmt, das Abkommen wird keine Passage enthalten, in der steht, dass europäische Standards herabgesetzt werden. Aber wenn das über allem stehende Ziel freier Handel ist, dann heißt das auch, dass nicht ein höherer Lebensstandard oder Umweltschutz die höchsten Ziele sind.

STANDARD: Warum glauben Sie, sind die Verhandlung zu Freihandelsabkommen geheim?

Drake: Um fair zu sein: Ich glaube, zum Teil aus Tradition. Aber in einer Demokratie im 21. Jahrhundert sollte das nicht so sein. Wenn die verhandelnden Parteien fürchten, dass der Inhalt ihrer Verhandlungen so kontroversiell und toxisch ist, dass die Menschen Widerstand leisten würden, sollte ihnen das zu denken geben. Unternehmen sind frustriert, weil Demokratie ihnen oft im Weg steht. Die Geheimhaltung der Verhandlung erlaubt ihnen, kritische Regelungen durchzusetzen und sich der öffentlichen Debatte mit den Bürgern zu entziehen. Es gibt ein Sprichwort, das gut beschreibt, was vor sich geht: Sitzt man nicht bei Tisch, steht man auf der Speisekarte. (Elena Pramesberger, 12.3.2016)