Ein typisches Streckhaus.

Skizze: Armin Karner

Klaus-Jürgen Bauer, Architekt und Buchautor.

Foto: Rainer Schoditsch

Klaus-Jürgen Bauer stellt in seinem demnächst erscheinenden Buch "Narrow Fields " architektonische Untersuchungen an Streckhofgrundstücken an. Wir sprachen mit ihm über die Geschichte der Häuser.

STANDARD: Wann wurden die ersten Streckhäuser gebaut?

Bauer: Der Typus eines langgestreckten Hauses, bei dem alle Funktionen hintereinander angeordnet sind – vorn das Wohnen, hinten die Wirtschaftsräume -, kommt schon in der Antike vor, etwa als Standardbebauung der römischen Kolonialdörfer. Die pannonischen Streckhöfe sind wohl auf eine einheitliche Planung der ehemaligen ungarischen Hofkanzlei in Wien in der Zeit Kaiser Josephs II. zurückzuführen. Damals gab es die Notwendigkeit, die nach den Türkenkriegen leeren Landstriche neu zu besiedeln. Die Siedler kamen aus Deutschland, Kroatien oder Serbien. Dahinter steht vielleicht die geheime Absicht des österreichischen Hofes, das renitente Ungarn durch eine geordnete Neubesiedlung mit einer Art von Kasernendörfern zu germanisieren.

STANDARD: Warum sehen alle Häuser sehr ähnlich aus?

Bauer: Die faszinierende Gleichförmigkeit der Bebauung vom Wiener Becken bis in das Banat ist in der strengen staatlichen Ordnungsmacht der Wiener Hofkanzlei begründet. Form und Größe des Hauses wurden in Wien bestimmt. In der ungarischen Staatskanzlei wurden vor allem die Grundstücksstrukturen festgelegt. Eine individuelle Gestaltungsmöglichkeit gab es in der Regel nur bei den straßenseitigen Giebelfassaden.

STANDARD: Warum wurden viele Orte im Burgenland nach dem gleichen Muster angelegt?

Bauer: Die Ortsstruktur, aber auch das Aussehen von Meierhof oder Kirche wurde in Wien festgelegt. Meierhof und Kirche befanden sich als Repräsentanten der Staatsmacht in der Regel an den Ein- und Ausgängen der Dörfer. Dazwischen waren – wie ein Abbild eines militärischen Schematismus – die immergleichen Bauernhäuser aufgereiht. Die Dörfer sind daher als ein Abbild eines absoluten Ordnungswillens zu begreifen. Dieser Ordnungswille bestimmte auch die sozialen Strukturen der Dörfer. In diesen Dörfern waren die sozialen Hierarchien ein für alle Mal festgelegt. Kirche und Grundherr als Eigentümer, dazwischen unterschiedslos die leibeigenen Bauern in Reih und Glied: eigentlich das Abbild einer Sklavenhaltergesellschaft.

STANDARD: Wie viele Häuser sind bis heute noch erhalten worden?

Bauer: Die letzten Streckhöfe wurden nach dem Zweiten Weltkrieg gebaut. Danach setzte im Burgenland eine gigantische Erneuerungsbewegung ein, die eine vollständige Veränderung bedeutete. Die langgestreckten, eingeschoßigen Streckhöfe wurden durch traufständige, meist zweigeschoßige Gebäude ersetzt. Während es in Österreich durchschnittlich etwa 25 Prozent an Bauwerken gibt, die vor dem Zweiten Weltkrieg errichtet wurden, steigt dieser Wert im sehr traditionsbewussten Salzkammergut auf etwa 35 Prozent. Im burgenländischen Seewinkel hingegen beträgt dieser Anteil nur noch 0,5 Prozent. Heute ist der burgenländische Streckhof als raumbildender Faktor nicht mehr vorhanden. Vereinzelt gibt es hie und da noch Streckhöfe, aber fast alle haben eine ungewisse Zukunft. (Guido Gluschitsch, 17.3.2016)