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Bücherstapel neben dem Bett: Was liegt ganz oben und was unten?

Foto: Corbis/Ranvita la Cour

Dirk Stermann

Dirk Stermann ist deutsch-österreichischer Kabarettist und Autor. Zuletzt erschien von ihm "Stoß im Himmel" (Ullstein-Verlag 2013).
Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Neben meinem Bett gibt es einen einschüchternden Bücherstapel und einen kleinen, der bewältigbar wirkt. Bettpsychologie. Von links nach rechts: Jean-Henri Fabre, Erinnerungen eines Insektenforschers. In meinem nächsten Roman wird ein Insektenforscher eine Rolle spielen, vielmehr eine von ihm erstellte Schmerzskala. So viel sei schon gesagt: Am furchtbarsten ist der Biss der Gewehrkugelameise. Ihr Biss gleicht einem Schuss aus kurzer Entfernung. Der Schmerz lässt 24 Stunden nicht nach. Im Herbst erscheint das Buch, aber da ich noch im Lektorat bin, les ich den Fabre. Durch Jonathan Franzens Unschuld kämpf ich mich seit Weihnachten. Seltsam uneuphorisch lese ich es. Habsburgs schmutziger Krieg ist ein großartiges Buch über die Kriegsverbrechen Österreichs im Ersten Weltkrieg. Sehr empfehlenswert, gerade weil es den operettenhaften Blick auf den Kaiser in den wohlverdienten Schatten stellt. Wolfgang Pennwiesers Ich und Vater wurde mir von Benedikt Föger zugeschickt, dem nettesten Verlegerpräsidenten Österreichs und Czernin-Chef. Peinlicherweise hab ich's noch immer nicht begonnen. Der zähe Franzen ist schuld.

Der Pennwieser soll gut sein. Und dann wartet auch ein Buch, auf das ich mich schon diebisch freue. Der goldene Handschuh von meinem Freund Heinz Strunk. Die Geschichte des Frauenmörders Fitz Honka. Dessen beängstigendes Fahndungsfoto aus den 70er-Jahren hing ein Jahr lang in Strunks Hamburger Wohnung an der Wand. Ein Bild, das so unheimlich ist, dass ich es seit meiner frühen Kindheit nicht vergessen konnte. Der goldene Handschuh ist eine heruntergekommene Kiez-Kneipe, in der Honka seine Opfer fand und die heute zu Strunks liebsten Lokalen gehört. Ich war auch einige Male dort. Sascha, der Chef, sieht aus wie Meister Propper, hat tatsächlich goldene Handschuhe in der Hose, die er anzieht, wenn er unliebsame Gäste aus dem Lokal prügelt. Strunks Roman ist für den Leipziger Buchpreis nominiert. Da drück ich dem Heinz die Daumen. Marcus Gärtner, sein und mein Lektor bei Rowohlt, spricht von einem Knaller. Solche Worte verwendet er nur, wenn es stimmt.

Anna Mitgutsch

Anna Mitgutsch ist österreichische Schriftstellerin. Gerade erscheint ihr neuer Roman "Die Annäherung" (Luchterhand 2016).
Foto: Peter von Felbert

Bücherstapel? Warum diese literarische Völlerei? Kann man denn mehrere Bücher gleichzeitig lesen, und alle im Bett? Drei Bücher zur gleichen Zeit sind mein Maximum, allerdings an drei verschiedenen Orten, das anspruchsvolle, meist ziemlich dick, ein Hardcover, voll schwieriger Gedankengänge auf dem Schreibtisch; daneben eines, dessen Sprache berauscht wie Musik, dort, wo die Inspiration gedeiht. Und dann das Buch auf dem Nachtkastl. Es steht in der Nachfolge der Gutenachtgeschichte. Wir müssen es zwar selber lesen und bekommen es nicht mehr erzählt, aber das Resultat ist das Gleiche, irgendwann schläft man mittendrin ein. Im Unterschied zum Buch Nr. 1 sollte es nicht zu viele Seiten haben, nicht zu schwer sein, keine Albträume hervorrufen und einen nachvollziehbaren Handlungsfaden haben, an den man am nächsten Abend leicht anschließen kann. Es bereitet mir keine Freude, wenn mir jemand berichtet: "Ihr Buch liegt auf meinem Nachtkastl." Ich möchte, dass meine Bücher hellwach gelesen werden. In einem solchen Zustand habe ich sie auch geschrieben. Meist kommt gleich darauf die Klage, das Buch sei leider so schwierig, zu viele Sprünge, zu lange Sätze, da verlöre man von einem Abend zum nächsten den Faden. Ein Nachtkastlbuch zu sein ist kein Kompliment.

Es gibt Leute, die sich ihren Lebensunterhalt mit Arbeit verdienen, die am Abend gerade noch erschöpftes Einnicken vor dem Fernseher zulassen. Aber was tun Schriftsteller den ganzen Tag? Im Idealfall lesen und schreiben sie. Sie sollten mehr lesen als schreiben. Lesen, um zu schreiben. Aber irgendetwas muss man doch lesen, bevor man einschläft. Es gibt kein Einschlafen, ohne lesen, und sei es nur eine halbe Stunde lang. Leicht muss es sein, an Gewicht und Sprache, leicht wie ein Gespinst aus feinstem Material, wie ein sehnsüchtiger Traum, ein Haus, durch dessen Tür man eintritt, überrascht von der Schönheit seiner Räume, der Klugheit dessen, was gezeigt, und noch mehr, was ausgespart wird, so wie Virginia Woolfs Orlando, der gerade auf meinem Nachtkastl liegt.

Andreas Maier

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Andreas Maier ist deutscher Schriftsteller. Zuletzt erschien von ihm "Mein Jahr ohne Udo Jürgens" (Suhrkamp 2015).
Foto: Picturedesk / Jürgen Bauer

Auf meinem Nachtkasten sieht man hauptsächlich ein im deutschsprachigen Raum bislang eher unbekanntes Großwerk, Anthony Powells Ein Tanz zur Musik der Zeit, es ist etwa ein halbes Jahrhundert alt (1952-1975). Von den zwölf Bänden sind bislang die vier im Elfenbein-Verlag erschienen, so beeindruckend von Heinz Feldmann übersetzt, dass ich anfänglich etwas Angst hatte, Feldmanns Deutsch könnte meine eigenen Sätze beeinflussen. Ich habe dann mal testweise wie Feldmann geschrieben. Anschließend habe ich aber erkannt, dass ich sowieso schon so klinge.

Powell ist für mich die größte Entdeckung seit mindestens einem Jahrzehnt. Kann man nur auf eine Stufe stellen mit Tolstoi, Dostojewski, Thomas Mann, Proust und dergleichen. Dieselbe Qualität. Ich bin gerade im vierten Band, deshalb liegt er auf dem Stapel oben. Es handelt sich übrigens um ein Weihnachtsgeschenk meiner Frau.

Der Held ist jetzt Mitte, Ende zwanzig und arbeitet gerade in einer Filmfirma. Begonnen hatte Band eins im Schulinternat. Bei dem Gedanken, dass Band zwölf hier erst im Oktober 2019 erscheinen soll, wird mir etwas mulmig. In den bisherigen Büchern passiert übrigens eigentlich gar nichts, wie immer in ganz großer Literatur.

Ganz unten im Stapel liegt noch Ippolito Nievo. Bei ihm lese ich grundsätzlich alles, was auf Deutsch erscheint. Allerdings sollte man, wenn man ihn nicht kennt, lieber erst mal die Bekenntnisse eines Italieners lesen. Nievo ist verwirrend jung gestorben, hat ein verwirrendes Leben gelebt und war verwirrend talentiert. Er hat seine eigentliche künstlerische Reife nie ganz erlangt. Wenn man ihn liest, ist es stets, wie wenn man einem Hund beim Herumtollen zuschaut. Gerade deshalb ist es erfrischend, ihn zu lesen.

Zoe Jenny

Zoe Jenny ist Schweizer Schriftstellerin und lebt seit 2015 in Wien. Zuletzt erschien von ihr "Spätestens morgen. Erzählungen" (Frankfurter Verlagsanstalt 2013).
Foto: Mischa Alain Vogel & Christian Roth

Dass eine Anwältin mit jahrzehntelanger Erfahrung so einiges erlebt und gesehen hat, ist nicht verwunderlich. Es gibt Berufe, bei denen man gezwungen wird, in menschliche Abgründe zu blicken. Doch längst nicht jeder kann auch darüber schreiben. Astrid Wagners Buch Rosen und Kriege ist ein Glücksfall. Es gelingt ihr mit einer knappen Sprache den Leser an schwierige Schicksale heranzuführen, ohne dabei voyeuristisch zu wirken. Das hat damit zu tun, dass die Autorin die Neugier hat, herauszufinden, was die Menschen zu ihren teilweise extremen Handlungen motiviert. Wir blicken durch die scharfe Brille der Anwältin, die zuweilen hart, aber nie ganz ohne Humor bleibt. Als sie die Undercover-Fotos einer Klientin betrachtet, die von ihrem Ehemann betrogen wurde, sieht sie, dass er beim Sex noch Socken anhat. Weiße Socken, "wie spießig", bemerkt die Anwältin. Einige Geschichten sind unterhaltsam, andere machen betroffen, wie etwa das Schicksal einer verzweifelten Mutter, deren drei Töchter vom Vater nach Tschetschenien entführt wurden. Und sie zeigen das erschreckende Spektrum dessen, was Männer Frauen antun können und umgekehrt – bis in den Tod und manchmal sogar noch darüber hinaus.

Erfahren die Klienten Gerechtigkeit? Wagner beantwortet diese Frage wohlweislich nicht. Die Antwort würde ohnehin nicht befriedigend ausfallen. Vielmehr zeigt sie anhand realer Fälle auf, dass das Recht nicht automatisch immer gerecht ist, das Bild der Justitia allzu oft bröckelt und die Waage der Gerechtigkeit sich in bedrohliche Schieflage senkt. (Album, 13.3.2016)