Migranten an der geschlossenen Grenze zwischen Griechenland und Mazedonien. Geht es nach der EU, sollen sie bald früher gestoppt werden.

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Wenn EU-Gipfel zu Ende gehen, beginnt für jeden der 28 Staats- und Regierungschefs die wichtigste Nachspielzeit, die für ihr politisches Gewicht entscheidend ist. Das Erreichte muss öffentlich gewürdigt werden, in Pressekonferenzen mitten in der Nacht, nach einem Tauziehen bis zur Erschöpfung.

Sprecher und Berater werden vorgeschickt, die den "Spin" vorgeben, die gewünschte Interpretation über das Geschehen aufbereiten sollen. Es geht oft nur um Nuancen. So war das im Prinzip auch beim Sondertreffen am Montag mit dem türkischen Premierminister Ahmet Davutoglu.

Dabei wurde über einen gemeinsamen Aktionsplan zur Entspannung der Flüchtlingskrise gerungen. Anstatt eines relativ kurzen Gipfels, bei dem ein in mehreren Wochen vorbereitetes Gesamtpaket inklusive EU-interner Maßnahmen beschlossen werden sollte, lief der Tag in Brüssel ziemlich aus dem Ruder.

Neue türkische Forderungen

Die Türkei hatte anstatt zugesagter drei Milliarden Euro an EU-Hilfe für die 2,7 Millionen syrischen Flüchtlinge im Land bis 2018 das Doppelte verlangt.

Ankara wollte eine bisher erst vage für Jahresende vorgesehene Visafreiheit für türkische Staatsbürger bei Einreisen in die EU schon in drei Monaten realisiert haben: am 1. Juni.

Und vor allem pochte Davutoglu darauf, dass der zugesagte Neustart der EU-Beitrittsverhandlungen gleich mit fünf neuen Kapiteln (statt zwei) und sofort erfolgen müsse – ein No-Go für das geteilte EU-Mitglied Zypern, das im Norden von türkischen Truppen besetzt ist. Im Gegenzug zeigte sich die türkische Regierung bereit, ausnahmslos alle illegalen Migranten, die in der Ägäis per Boot nach Griechenland flüchten, nach einem noch zu vereinbarenden Rückführungsabkommen zurückzunehmen. Die Syrer unter ihnen kämen in Flüchtlingslager der Türkei. Andere syrische Flüchtlinge dürften statt ihnen in einem legalen Verfahren mit der Überstellung in ein EU-Land rechnen.

Umstrittener Umtausch

Dieser "Umtausch" im Verhältnis eins zu eins ist wegen Rechtsbedenken umstritten. Kein Wunder also, dass auch die Regierungschefs bei ihrem Treffen mit Davutoglu keinen (einstimmigen) Beschluss fassten, sondern sich lediglich auf die "Prinzipien" der Vorschläge aus Ankara einigten, die in den Schlusserklärungen angeführt sind. Nächste Woche wird es den nächsten EU-Gipfel geben, wieder mit Davutoglu.

Aber wie "verkauft" man ein solches Noch-nicht-Ergebnis den Bürgern? Die Poleposition nahm in der Nacht auf Dienstag sofort nach Sitzungsende das Team von Kommissionschef Jean-Claude Juncker ein: "Das ist ein Durchbruch", wurde gegen ein Uhr früh kommuniziert.

Juncker selbst war vorsichtiger. Er räumte ein, dass noch einige legistische Anpassungen nötig wären. Das werde in den kommenden zehn Tagen erfolgen. Aber alles sei machbar, eine "bahnbrechende" Wende, die Beendigung der illegalen Migration nach Europa und legale Übersiedlung insbesondere von syrischen Flüchtlingen seien am Ende möglich. Frankreichs Präsident François Hollande begrüßte, dass man im Grundsatz einig sei, aber von einer Entscheidung insbesondere bei der Visa-Liberalisierung für Türken sei man weit weg: 72 Kriterien seien erst noch zu erfüllen.

Merkel ist guter Dinge

Sehr zufrieden, weil man "einen qualitativen Schritt weitergekommen" sei, zeigte sich dafür die deutsche Kanzlerin Angela Merkel. Sie hob hervor, wie wichtig es sei, dass bei einer Realisierung der Pläne das Geschäft der Schlepper zunichtegemacht werde. Es sei das Ziel, "dass Flüchtlinge nicht mehr in die Boote steigen". Die Nato sei dabei behilflich, die EU-Außengrenze werde nun Zug um Zug besser geschützt.

Merkel hatte – neben Davutoglu – den Hauptanteil daran, dass die Kooperation mit der Türkei diese Richtung einschlug. Sie hatte sich mit dem türkischen Ministerpräsidenten in der Nacht vor dem Gipfel getroffen und wohl das neue Konzept erarbeitet.

Einige Regierungschefs, und auch Ratspräsident Donald Tusk, zeigten sich überrascht, als sie mit neuen Forderungen konfrontiert wurden. Aber niemand erhob einen prinzipiellen Einwand dagegen, da sich alle beim gemeinsamen Ziel, den illegalen Flüchtlingsstrom zu beenden, einig sein können. Ob es in zehn Tagen gelingen kann, alle Details und Haken in den Plänen zu klären und aufzulösen, wird man sehen.

Hocherfreut zeigte sich der türkische Premier. Er betonte, dass die Türkei die Maßnahmen als ein "Gesamtpaket" sähen. Die angebotene Hilfe bei Flüchtlingen sei nicht zu trennen von Beitrittsverhandlungen und Visafreiheit.

Angesprochen auf die Polizeiaktion gegen eine Oppositionszeitung, pries er überschwänglich die Vielfalt der Medien in seinem Land. Die Regierung werde von Zeitungen ausgiebig kritisiert, so Davutoglu. Sein Land fühle sich der Meinungsfreiheit verpflichtet. Juncker und Tusk standen daneben – und sagten dazu kein Wort. (Thomas Mayer aus Brüssel, 8.3.2016)