Als das Reisegrüppchen auf einer Anhöhe vierzig Meter über dem Malawisee beim Sundowner sitzt, hört es Trommeln und Stimmen, die der Wind aus einem nahegelegenen Dorf herüberträgt. Was mag das sein? Die Besucher sind neugierig, aber zu müde, um sich in der Dunkelheit auf den Weg zu machen. Gerade erst sind sie in der Pumulani-Lodge angekommen. Die Unterkunft liegt direkt am Südufer und ist die einzige komfortable innerhalb des Malawisee-Nationalparks.

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Die Open-air-Fischmärkte am Südufer des Malawisees sind voll. Dennoch leidet das Gewässer unter Überfischung.

Das 88 Quadratkilometer große Schutzgebiet bei Monkey Bay umfasst einen kleinen Teil des Sees, die Halbinsel Khumba und zwölf kleinere Inseln. In dem See tummeln sich an die 1000 Fischarten, ein Artenreichtum, der seinesgleichen sucht. Viele Menschen leben hier vom Fischfang, und man sollte meinen, dass sie in diesem Gewässer aus dem Vollen schöpfen können – dennoch gehört Malawi zu den ärmsten Ländern der Welt. Gleichzeitig gilt der Staat im Südosten des afrikanischen Kontinents, wo er an Tansania, Mosambik und Sambia grenzt, im regionalen Vergleich als relativ sicheres Reiseland.

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In winzigen Kanus fahren die Fischer weit hinaus auf den See – in Ufernähe des Nationalparks dürfen sich nicht fischen.

Am nächsten Tag segeln die Besucher mit Gift und Dinero, einem Guide und einem Bootsführer, auf einer Dau auf den See hinaus. Noch weit draußen begegnen sie Fischern in ihren winzigen Kanus, die im Nationalpark nur mit deutlichem Abstand vom Ufer ihre Netze und Angeln auswerfen dürfen. Der Malawisee ist gigantisch, über 500 Kilometer lang und rund siebzig Kilometer breit, doch schon seit einiger Zeit leidet er an Überfischung.

Gekühlte Gift-Box

Guide Gift öffnet im Sonnenuntergang erst einmal seine Kühlbox. Sein Vorschlag für den heutigen Sundowner: ein waschechter MGT. Das Kürzel steht für Malawian Gin Tonic, gemixt aus Limonade und einem selbstgebrannten Schnaps. Das Getränk wurde für die englischen Kolonialoffiziere erfunden, die ab 1891 und bis 1964 im Land waren. Nach der Verfassung von 1966 ist Malawi bis heute Teil des Commonwealth.

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Im Nationalpark Malawisee gibt es viele seltene Vogelarten zu bewundern – im Bild ein Afrikanischer Fischadler.

Der See liegt wie ein frisch gebügeltes Leintuch vor uns. Gift und Dinero versuchen erst gar nicht, das trapezförmige Segel der Dau zu setzen. Heute haben sie nur eine Chance: den Motor anwerfen. Erst als sie ihn in der Nähe einer der kleinen Inseln wieder abstellen, wird klar, warum der Malawisee auch oberhalb des Wasserspiegels seit 1984 zum Unesco-Weltnaturerbe zählt: In der Nähe des Ufers erspähen die Passagiere seltene Vögel wie Schreiseeadler, Maskenpirole und Eisvögel.

Artenreiche Unterwasserwelt

Doch die wirklich "bunten Vögel" bevölkern die Unterwasserwelt. Im Malawisee tummeln sich hunderte unterschiedliche Buntbarscharten, die meisten davon sind endemisch. Beim Schnorcheln ist man zudem ständig von einem Schwarm blau-schwarz gestreifter Minizebrafische umgeben.

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Im Malawisee tummeln sich hunderte Buntbarscharten, viele davon sind endemisch.

Gilson Jahn, der mit Schnorchlern am liebsten die Gewässer vor der Insel Boadzulu besucht, kennt den See wie kaum ein anderer. Im vergangenen Jahr hat der 54-jährige Guide zusammen mit seinem Sohn am sechstägigen Malawisee-Segelmarathon teilgenommen. Als die Wellen vier Meter hochschlugen und vielen Teilnehmern der Mast brach, wurden die beiden Tagessieger. "Ich bin gut", sagt Gilson lapidar und fügt dann ein wenig wehmütig an: "Obwohl ich das Meer noch nie gesehen habe." Gern möchte man ihm versichern, dass er nichts versäumt hat, wirkt doch der Malawisee mit seinen feinen Sandstränden und dem endlosen Horizont vielerorts wie ein Ozean.

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An vielen Stellen wirkt der See mit seinem endlose Horizont wie ein Ozean.

Egal, wo man sich am See aufhält, am spektakulärsten wirkt der See am frühen Abend. Dann taucht die untergehende Sonne das Wasser in ein orangefarbenes Licht. Die Fischer, die aufrecht in den hölzernen Einbaum-Kanus sitzen, sind dann nur noch als dunkle Silhouette zu sehen und auf dem Rückweg in Dörfer wie Mbeya, Kasankha und Mtewa.

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In Dörfern wie Mbeya, Kasankha oder Mtewa leben vorwiegend Fischer mit ihren Familien.

Guide Gift ist der Enkel des Dorfvorstehers von Mtewa, jenem Ort also, aus dem am Vorabend das tranceartige Trommeln zu hören war. Und er hat eine Erklärung für die Klangkulisse, die der Wind auch heute wieder über den See trägt: Zwei Maskentanzgruppen treten dort gerade auf, um für das Blutspenden und für verantwortungsvolle Empfängnisverhütung zu werben.

Multifunktionaler Maskentanz

Der Maskentanz Gule Wamkulu spielt für die Chewa, ein Bantu-Volk, das vor allem in der südlichen Hälfte von Malawi lebt, bis heute bei Beerdigungen eine wichtige Rolle – aber eben nicht nur. Die Tänze dienen längst auch dazu, Kinder zu unterrichten, und finden ebenso in der Erwachsenenbildung Einsatz. Das erklären Benford und Kervin, die beide zur Tanzgruppe aus dem Dorf Kasankha gehören.

Der Maskentanz Gule Wamkulu spielt für die Chewa eine wichtige Rolle bei Beerdigungen. Er wird aber auch zur Bildungszwecken eingesetzt.
andrew charles ford

Während Benford, Kervin und vier andere Spieler mit Tierfellen bespannte Trommeln bearbeiten, tanzt ein einzelner Maskenträger im Schatten eines großen Baumes. Zuerst bewegt er sich wie ein scharrendes Huhn und hüllt alle in eine Staubwolke, dann mimt er ein Wildtier. Viele Figuren in diesem Tanz repräsentieren wilde Tiere, die auch für den Tod von Menschen verantwortlich sind und somit gefürchtet werden. Nähern sich die Tanzenden, weichen die Kinder ängstlich zurück.

Hinter der Maske

Bei den Chewa werden Maskenträger nicht als Personen, sondern als Geister angesehen, die Masken führen gewissermaßen ein Eigenleben. Die Kostüme sind meist bunt, manchmal bleiben die Tänzer auch nackt, das Gesicht muss aber immer hinter einer Maske versteckt sein, da niemand im Dorf wissen darf, wer sich dahinter verbirgt. So schwer ist das am Südufer des Malawisees allerdings nicht zu erraten: höchstwahrscheinlich ein Fischer, dem gerade erst ein Buntbarsch ins Netz gegangen ist. (Florian Flieger, Rondo, 11.3.2016)