Der Streit zwischen der EU-Kommission und der österreichischen Bundesregierung um Limits bei der Zahl von Flüchtlingen, die pro Tag bzw. pro Jahr als Asylwerber an den Südgrenzen ins Land gelassen werden, hat am Freitag eine neue Wendung genommen.

Der Rechtsdienst des EU-Ministerrates widerspricht der Auffassung von Innenkommissar Dimitris Avramopoulos, wonach solche "Obergrenzen" illegal seien und sowohl gegen europäische wie auch gegen internationale Vereinbarungen wie die Genfer Flüchtlingskonvention verstießen. "Im Prinzip" würden solche "Limits" nicht gegen internationale Regeln verstoßen. Das hänge etwa sehr davon ab, ob ein Land "vernünftige Aufnahmebedingungen für Flüchtlinge" anbiete, zitiert der Brüsseler Nachrichtendienst "Politico" dazu "mehrere Quellen".

Anstoß von Griechen

Diese Auskunft habe der Rechtsdienst des Rates am vergangenen Mittwoch auch in einer mündlichen Stellungnahme vor den Ständigen Vertretern der EU-Staaten (Coreper) gegeben. Recherchen des STANDARD zufolge hat der Vertreter Griechenlands bei der Europäischen Union den Anstoß gegeben.

Er forderte eine Erklärung des Rates zu den von der österreichischen Regierung getroffenen Maßnahmen und der Beschwerde der EU-Kommission dagegen. Der Chefjurist des Rates, Hubert Legal, ein Franzose, habe den Botschaftern daraufhin diese Rechtsauskunft gegeben.

Stillhalten vor dem EU-Gipfel

Das wurde dem STANDARD Freitagabend von einem Teilnehmer bestätigt. In Diplomatenkreisen wird die Angelegenheit mit äußerster Zurückhaltung behandelt. Es soll vermieden werden, dass dieser Fall – wie schon beim letzten EU-Gipfel vor zwei Wochen – zum beherrschenden Thema werden könnte.

Damals war Kanzler Werner Faymann unter Druck geraten, weil Österreich von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und der deutschen Kanzlerin Angela Merkel ein "nationaler Alleingang" zum Schaden der Gemeinschaft vorgehalten worden war.

Aufnahme hat "Grenzen"

In diplomatischen Kreisen wird bestätigt, dass Legal darauf hingewiesen habe, dass für ein Land zwar grundsätzlich die Verpflichtung bestehe, Flüchtlingen Einlass zu gewähren. Das müsse aber unter gewissen Standards erfolgen und könne deshalb "Grenzen haben". Dies sei von dem betroffenen Land zu begründen. "Per se", in jedem Fall also, seien Obergrenzen daher nicht unbedingt illegal. Daher könne man ohne eingehende Prüfung nicht von vornherein sagen, dass Obergrenzen verboten seien, so ein Diplomat am Freitag.

Die Rechtsauskunft bedeute daher aber auch nicht, dass die von der Regierung getroffenen Maßnahmen korrekt seien. Das hänge von einzelnen Faktoren ab – die Art, wie man Flüchtlinge an der Grenze aufnimmt, gehöre dazu.

"Nicht korrekt"

"Politico" zitiert dazu eine Quelle im Rat: "Zu sagen, dass Österreich internationales Recht verletzt hat, das ist nicht korrekt."

Dieser Standpunkt ist ein schwerer Rückschlag für Innenkommissar Avramopoulos. Er hatte in einem Brief an Innenministerin Johanna Mikl-Leitner auf eine ebensolche Rechtsverletzung hingewiesen und sie in strengem Ton zur Stellungnahme aufgefordert. Mikl-Leitner hatte die Vorwürfe ihrerseits – ebenso wie Faymann – vehement abgeschmettert und darauf verwiesen, dass erst noch ein Rechtsgutachten von Verfassungsrechtlern abgewartet werden müsse, bevor die Maßnahmen rechtsverbindlich beschlossen würden.

Wie berichtet, will die Regierung 2016 nur 37.500 Asylverfahren annehmen bzw. 80 pro Tag an der Grenze in Spielfeld. Und es sollen maximal 3200 Flüchtlinge pro Tag "durchgelassen" werden, die in Deutschland um Asyl ansuchen wollen. Die griechische Regierung hatte gegen die restriktiven Maßnahmen heftig reagiert und die Botschafterin in Wien aus Protest für einige Tage zurückbeordert. Eine Stellungnahme der EU-Kommission gab es dazu am Freitag nicht.

Tsipras lobt Merkel

Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras hat unterdessen das Verhalten der deutschen Kanzlerin Angela Merkel in der Flüchtlingskrise gelobt. "Deutschland hat in dieser Krise sehr gut gehandelt und menschliches Verhalten gezeigt", sagte Tsipras der "Bild"-Zeitung (Samstagsausgabe). "Wenn die Kanzlerin sich wie Orban verhalten hätte, dann wäre Europa wohl längst gespalten und damit gescheitert", so Tsipras. (APA/Thomas Mayer, 4.3.2016)