Der britische Ministerpräsident David Cameron und der französische Präsident François Hollande reisten zu ihrem neuesten bilateralen Gipfeltreffen nach Amiens. Zusammen besuchten die Waffenbrüder des Ersten Weltkriegs einen Soldatenfriedhof.

Das Hauptinteresse lag allerdings auf einer anderen nordfranzösischen Stadt – Calais, wo derzeit mindestens 3.000 Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak oder dem Sudan in einem wilden Lager auf den Sprung nach England warten. Laut der Schlusserklärung des Zweiergipfels stockt London seine finanzielle Hilfe an Frankreich von bisher 80 Millionen Euro um 22 Millionen auf. Dieses Geld soll helfen, den Fährhafen und Tunnelbahnhof bei Calais besser zu sichern, heizbare Wohncontainer aufzustellen sowie Schlepperbanden zu bekämpfen. Im Gegenzug hatte sich Frankreich in dem Abkommen von Le Touquet 2003 verpflichtet, die Migranten auf seinem Territorium abzufangen.

Genau das könnte sich allerdings ändern, falls England bei der Volksabstimmung am 23. Juni beschließen sollte, aus der EU auszutreten. "An dem Tag, an dem sich die Beziehungen auflösen, wird es keine Migranten mehr in Calais geben", erklärte Frankreichs Wirtschaftsminister Emmanuel Macron in einem Interview, das vor dem bilateralen Gipfeltreffen in der "Financial Times" erschien. Die unverblümte Drohung lässt sich nur so verstehen, dass sich Frankreich nach Hinfallen der europäischen Abmachungen nicht mehr gebunden fühlen würde, die Flüchtlinge und Migranten in Calais zurückzuhalten.

Ob sich Macron in Absprache mit Hollande äußerte, ist unklar; außer Zweifel steht indessen, dass er die Aussage genau auf das bilaterale Treffen hin timte. Die Art, wie Cameron beim letzten Brüsseler Gipfel die EU mit der Brexit-Drohung "erpresste" (so der Ausdruck französischer Medien), war in Paris viel weniger goutiert worden als etwa in Berlin.

Nach diesen deutlichen Worten aus Paris vermieden Cameron und Hollande das Thema Brexit. Umso geschlossener drängten sie den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu einem Einlenken in der Syrien-Frage. Am Freitag wollen sich Cameron, Hollande und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel telefonisch mit Putin besprechen. (Stefan Brändle aus Paris, 3.3.2016)