Durch die UN-Konventionen ist der "Krieg gegen Drogen" nicht gerechtfertigt, stellt der Drogenkontrollrat der Vereinten Nationen im Jahresbericht fest. Vor allem unverhältnismäßig hohe Strafen gegen kleine Dealer und Süchtige werden von den Experten des Gremiums verurteilt.

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Wien – Das Angebot von Drogen steigt weltweit rasant an. Allein im Vorjahr wurden bis Oktober mehr als 600 neue psychoaktive Substanzen von Staaten gemeldet. Ein Anstieg von 55 Prozent gegenüber dem Jahr 2014, als noch 388 neue Stoffe registriert worden waren. Das geht aus dem Jahresbericht des Internationalen Suchtstoffkontrollrats (INCB) hervor, der am Mittwoch veröffentlicht wurde.

Der Präsident des Kontrollgremiums der Vereinten Nationen, Werner Sipp, spricht in diesem Zusammenhang von einer "Lawine" und dem behäbigen System der Uno. "Wir laufen immer hinterher", so Sipp im Gespräch mit dem STANDARD. Als man sich bei der Staatengemeinschaft in den Jahren 1961 und 1971 auf ein Vorgehen geeinigt hatte, wie man eine Substanz unter Kontrolle stellen kann, habe man mit "ein bis zwei neuen Stoffen pro Jahr gerechnet". Deshalb sei das System noch immer zu behäbig. Im Vorjahr wurden etwa nur zehn neue Substanzen in die Kontrollliste aufgenommen. Das größte Problem dabei: Nur, wenn man weiß, dass ein Stoff schädlich ist, kann man Produktion und Verkauf bestrafen.

Ein "Krieg gegen Drogen", wie er von manchen Staaten geführt wird, ist durch die internationalen Drogenkontrollabkommen allerdings nicht gerechtfertigt, wie der INCB im Bericht feststellt. Unter diesem Begriff, der in den 1970er-Jahren durch das militärische Vorgehen gegen Drogenhandel geprägt wurde, sammeln sich heute alle unverhältnismäßigen Bestrafungen von Drogendelikten, wie etwa die Todesstrafe wegen Konsums. "Damit gemeint sind alle Maßnahmen, die davon ausgehen, dass ein Drogenabhängiger nicht krank, sondern kriminell ist", sagt Sipp. Gesundheit und Therapie seien laut UN-Konventionen das höchste Gut. Das Ausscheren ins andere Extrem, wie die Legalisierung von Cannabis, sei aber ebenfalls nicht durch die Konventionen gedeckt.

Kritik an Kontrollrat

Der INCB musste sich vor allem im Vorjahr den Vorwurf gefallen lassen, zu konservativ und streng zu urteilen. Auslöser für die Kritik war eine Rüge des Kontrollrats der USA und Uruguays, die Cannabis legalisiert hatten. Dabei kann der Rat gar nicht anders, so Sipp. Der INCB sei quasi das Gericht der UN-Konventionen und prüfe nur strikt deren Einhaltung. "Wenn die Staaten eine liberalere Drogenpolitik wünschen, dann müssen sich die Vereinten Nationen darauf einigen und die Konventionen ändern", sagt der Präsident. Bis dahin sei klar festgelegt, dass Drogen nur medizinisch und wissenschaftlich verwendet werden dürfen. "Wir sind nicht die Speerspitze der Uno für neue Konventionen", so Sipp.

Nicht immer ist die Auslegung der Konventionen so eindeutig wie im Fall der Cannabis-Legalisierung. Russland etwa verbietet den Handel und die Verwendung von Methadon. Obwohl selbst die Weltgesundheitsbehörde unterstreicht, wie effektiv und sinnvoll eine Methadon-Therapie ist. Eine Verurteilung des russischen Vorgehens ist laut Sipp schwierig. Zwar ist die Wichtigkeit von Therapien für Süchtige in den Konventionen festgeschrieben, doch wird die Art nicht näher erläutert.

Rüge für Russland

Wo der Rat sehr wohl mahnen konnte, sind die Auswirkungen der Annexion der Krim-Halbinsel durch Russland. Von einem Tag auf den anderen wurden nämlich sämtliche Methadon-Programme abgedreht. "Das darf nicht sein", so Sipp. Ein Patient habe das Recht auf Behandlung, und eine bestehende Therapie dürfe nicht unterbrochen werden.

Im Jahresbericht weist der INCB zudem darauf hin, welche Auswirkungen unnötiges Verschreiben von Benzodiazepinen haben, die zur Behandlung von Schlafstörungen und Angstzuständen eingesetzt werden. Vor allem bei Patienten über 65 Jahre, die diese Mittel einnehmen, besteht ein um 50 Prozent höheres Risiko, innerhalb von 15 Jahren eine Demenz zu entwickeln. Auch der starke Anstieg der Verschreibungen von Ritalin, das unter anderem gegen Hyperaktivität eingesetzt wird, soll laut INCB hinterfragt werden.

Gleichzeitig hält der Kontrollrat fest, dass viele Menschen in Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen keinen ausreichenden Zugang zu Schmerzmitteln haben. So würde die Bevölkerung von Europa und Nordamerika fast 95 Prozent der Schmerzmedikamente konsumieren.

Der Jahresbericht der in Wien ansässigen Behörde hat keine Sanktionen gegen Staaten zur Folge. Allerdings wird er den Vereinten Nationen in ihrer Vollversammlung vorgelegt. (Bianca Blei, 2.3.2016)