Heidelberg – Signalmoleküle der sogenannten Wnt-Gen-Familie spielen eine Schlüsselrolle in der frühen Embryonalentwicklung. Gleichzeitig ist ein "Zuviel" an Wnt ein häufiger Auslöser für Darmkrebs. In Labor-gezüchteten Mini-Därmen konnten deutsche Wissenschafter die Wege des Botenstoffes vor kurzem erstmals sichtbar machen. Das erfolgte an dreidimensionalen und mehrschichtigen Darmzellkulturen, einem Mini-Gedärm.

Derartige "Mini-Organe" sind derzeit ein heißes Thema für die wissenschaftliche Forschung. Wissenschafter des Instituts für Molekulare Biotechnologie (IMBA) in Wien haben beispielsweise "Mini-Gehirne" gezüchtet, an denen die frühe embryonale Hirnentwicklung untersucht werden kann. Forscher des Deutschen Konsortiums für Translationale Krebsforschung (DKTK) haben die neuartige dreidimensionale Darmkultur genutzt, um neue Angriffspunkte zu finden, mit denen sich Wnt in Darmtumoren stoppen lässt.

Stammzellen in den Krypten

Der Dünndarm ist ein stark beanspruchtes Organ: Die Verdauungsprozesse und das Darmmilieu sorgen dafür, dass die Zellen der Darmschleimhaut alle drei bis fünf Tage absterben und erneuert werden müssen. Nachschub liefern Millionen kleiner Gruben in der Oberfläche der Darmschleimhaut. Der Boden dieser sogenannten "Krypten" beherbergt teilungsfähige Stammzellen. Deren Zellnachkommen wandern im Verlauf ihrer Spezialisierung aus der Krypte heraus und reifen zu Darmepithelzellen heran, hieß es vor kurzem in einer Aussendung des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ/Heidelberg).

Kontrolliert wird die Selbsterneuerung durch den Wnt-Signalweg. Doch die hohe Zellteilungsrate im Darm macht das System fehleranfällig, die Wnt-Regulation gerät leicht außer Kontrolle. Im Durchschnitt jeder zehnte Mensch entwickelt Darmpolypen, die unter Umständen zu bösartigen Tumoren werden können. Bei den über 60-Jährigen hat knapp jeder dritte mindestens einen Polypen im Darm. "In Darmtumoren ist das Wnt-Signal deutlich höher als in gesundem Gewebe", sagte Henner Farin, der die Arbeiten mit Kollegen am University Medical Center Utrecht durchführte. "Dadurch werden die Zellen dauerhaft in einen stammzellähnlichen Zustand versetzt. Sie sind prinzipiell unsterblich und können besonders viele Mutationen anhäufen, die Krebs auslösen."

Bilder aus Mini-Därmen liefern Erklärung

Eine hohe Expression von Wnt-Proteinen ist ein typisches Merkmal von Stammzellen. Während der Ausreifung ihrer Nachkommen nimmt die Aktivität ab. Lange ging man davon aus, dass der Botenstoff dabei durch Diffusion die Stammzellen erreicht. Zu dieser Theorie passte jedoch nicht die Beobachtung, dass das Signal auf Stammzellen und deren Nachkommen begrenzt bleibt. Die Bilder aus den Mini-Därmen liefern jetzt endlich eine Erklärung: "Der Wnt-Faktor wird auf die Zellmembran der Stammzellen geladen und bleibt dort gebunden. Bei der Zellteilung wird das Signal an die Membranen der Tochterzellen weitergeben und verdünnt sich zwangsläufig", sagte Henner Farin. "Die dabei stetig abnehmende Wnt-Menge ist für die Zelle der Auslöser für die Spezialisierung zur Darmzelle."

Diese Form der zellgebundenen Wnt-Ausbreitung hatte man bisher nur in Fliegen beobachtet. Für die Darmkrebsforschung ist das eine wichtige Erkenntnis, erläuterte Henner Farin: "Fast 90 Prozent aller Darmtumoren tragen Mutationen, die eine Erhöhung des Wnt-Signals bewirken. In einem Teil dieser Tumoren reichern Zellen Wnt an, weil der Abbau des membrangebundenen Moleküls nicht mehr funktioniert."

Dreidimensionale Darmkulturen, sogenannte "Organoide" sind eine neues Verfahren der Biomedizin. Mit ihrer Hilfe können die Wissenschafter um Henner Farin die Abbauprozesse von Wnt in Darmtumoren genauer unter die Lupe nehmen. Die Mini-Därme zeigen essenzielle Funktionen eines echten Darms und können aktiv Medikamente und Nährstoffe aufnehmen. (APA, red, 1.3.2016)