Graz – An wenigen Tagen im Jahr, wenn es Starkregen gibt, geht das veraltete Grazer Kanalnetz über. Die Abwasser werden dann samt Fäkalien in die Mur und Grazer Bäche gespült. Um das zu verhindern, soll ein Zentraler Speicherkanal gebaut werden. Kosten: 62 Millionen Euro. ÖVP, SPÖ und FPÖ sind für den Kanal, die Grünen und die KPÖ dagegen – genau wie sämtliche NGOs des Naturschutzbeirates der Stadt Graz. Weil der Naturschutzbeirat der Stadt von dem Projekt dringend abrät, herrscht dicke Luft zwischen Umweltschützern und Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP).

Bäume für Kühlung der Stadt verschwinden

Am Dienstag erläuterten Naturschutzbund-Präsident Johannes Gepp, die Sachverständige für Natur- und Umweltschutz und Beiratssprecherin Romana Ull und die Umweltmedizinerin Eva-Maria Wendler, warum man das Projekt für ein "ökologisches Desaster" hält. Vorausschicken müsse man, dass die Klimaerwärmung Graz durch seine Lage härter treffe als andere österreichische Städte. In den nächsten 50 Jahren erwarten die Experten 100 Hitzetage (über 30 Grad Celsius) pro Jahr und eine durchschnittliche Erwärmung um bis zu fünf Grad.

"Um die Stadt zu kühlen, brauchen wir jeden Baum, den wir haben", sagt Ull. Doch fast 10.000 Bäume müssen für den Kanal geopfert werden. Medizinerin Wendler warnt zudem, dass ein Verlust von Bäumen die ohnehin katastrophalen Feinstaubwerte der Stadt weiter in die Höhe treiben würde. "Außerdem ist Wasser ein wertvolles Gut", so Wendler, "das müssen wir uns behalten." Und das könnte man, wenn man etwa in Graz endlich alle dafür geeigneten Flachdächer begrünen würde, ergänzt Gepp: "Das würde weit weniger kosten." Tatsächlich aber mache man es Bürgern, die ihre Häuser begrünen wollen, nach wie vor schwer. Mit dem geplanten Kanal ginge das Wasser, das man dringend zum Kühlen der Stadt brauche, einfach verloren. Genau wie 62 Millionen Euro.

"Wertschöpfung bliebe nicht bei uns"

Dass eine "bankrotte Stadt" für so ein Projekt so viel Geld aufbringe, wundere sie persönlich, sagt Ull. Das Argument der Arbeitsplätze, die durch die Errichtung geschaffen würden, zieht bei ihr nicht: "Das wird sicher EU-weit ausgeschrieben, und die Wertschöpfung würde nicht bei uns bleiben."

Ein weiteres Problem, das mit dem Speicherkanal käme, wäre die Kläranlage in Gössendorf südlich von Graz. Diese müsse nämlich im Fall der Realisierung des Kanals ebenfalls massiv ausgebaut werden, sind sich die Experten sicher.

Im Streit mit dem Bürgermeister meinte dieser kürzlich, er wünsche sich ohnehin einen neuen Beirat: "Einen, wo Engagement und Expertise besser getrennt sind." Ull kontert darauf am Dienstag, man werde der Stadt weiterhin beides gratis zur Verfügung stellen: "Die Expertise und das Engagement. Aber wir sind kein Wunschkonzert." (Colette M. Schmidt, 1.3.2016)