Was ist die richtige Dosis an notwendiger Solidarität in der Flüchtlingskrise? Darüber wird in Deutschland gerade heftig debattiert. Die österreichischen Politiker täten gut daran, genau hinzuhören. Stein des Anstoßes war ein Vorschlag des deutschen SPD-Chefs Sigmar Gabriel. Gabriel forderte im ZDF ein neues "Solidarpaket", das nicht den Flüchtlingen, sondern der deutschen Bevölkerung zugutekommen soll. Der Staat soll mehr Geld für sozialen Wohnbau ausgeben, niedrige Pensionen erhöhen und mehr Kindergartenplätze schaffen, schlug der Politiker vor, um damit einer Neiddebatte und einer noch tieferen Spaltung der Gesellschaft zuvorzukommen.

Am Wochenende folgte die bisher schärfste Replik vonseiten des Koalitionspartners. "Wenn wir Flüchtlingen – Menschen, die in bitterer Not sind – nur noch helfen dürfen, wenn wir anderen, die nicht in so bitterer Not sind, das Gleiche geben oder mehr, dann ist das erbarmungswürdig", sagte der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU).

Angst vor der Zukunft

Beide Positionen haben einiges für sich. Es ist eine Tatsache, dass sich in Deutschland die gesellschaftlichen Diskussionen nach rechts verschieben bzw. verschoben haben, wenn es um Asylwerber geht. Die Motivationslagen sind komplex und reichen von der Angst vieler Menschen vor Überfremdung bis hin zu einer Furcht davor, den eigenen hohen Lebensstandard einbüßen zu müssen. Die Situation am deutschen Arbeitsmarkt ist zwar ausgesprochen gut. Doch laut Meinungsforschungsinstitut GfK wächst die Furcht der Menschen vor einem Verlust des Arbeitsplatzes seit Ausbruch der Flüchtlingskrise deutlich. Zwei Drittel der Deutschen erwarten persönliche finanzielle Einbußen wegen der Flüchtlinge zu erleiden, zeigt eine Umfrage (1500 Befragte) der Beratungsfirma Ernst&Young.

Ob diese Befürchtungen nun begründet sind oder nicht, ist gleichgültig, sie existieren. Deshalb könnte ein Solidaritätspaket, so wie es Gabriel vorschlägt, Sinn machen. Die Botschaft an die Menschen wäre: Wir nehmen eure Ängste ernst und sind mit einem verstärkten Auffangnetz zur Stelle, sollte etwas schiefgehen.

Demgegenüber hat natürlich auch Schäuble recht, dass die Politik nicht jedes Mal per Gießkanne Sozialleistungen an alle verteilen kann, weil eine kleine Gruppe von Menschen Hilfe braucht. Auf Dauer wäre das für einen Staat weder finanziell noch argumentativ durchzuhalten. Ob das Solidaritätspaket in diesem Fall wirkt, ist zudem nicht sicher: Wer Migranten aus Prinzip ablehnt, wird sich nicht überzeugen lassen.

Lopatka pocht auf Kürzungen

Im Gegensatz zu Deutschland läuft die Debatte in Österreich seit Wochen unter völlig anderen Vorzeichen. ÖVP-Klubchef Reinhold Lopatka fordert nicht nur, Flüchtlingen weniger Mindestsicherung auszuzahlen. Er verlangt darüber hinaus auch eine Deckelung der Mindestsicherung bei 1500 Euro, was Familien mit zwei oder mehr Kindern treffen würde, die von der Sozialleistung leben müssen. Lopatka ist nicht der Einzige, selbst in der SPÖ würden einige gern über Sozialhilfekürzungen diskutieren, wie der burgenländische Soziallandesrat Norbert Darabos kürzlich in einem STANDARD-Interview darlegte. Doch mit solchen Aussagen ist die Politik drauf und dran, das gesellschaftliche Klima wirklich zu vergiften.

Es ist eine Sache, ob man beim Status quo bleibt oder angesichts der großen Herausforderungen auf mehr staatlich organisierte Solidarität setzt. Aber ausgerechnet inmitten der Flüchtlingskrise eine Debatte über Kürzungen der Sozialhilfe loszutreten ist Garant dafür, Neid und Missgunst unter den Bürgern zu verstärken. Hinzu kommt, dass die Situation in Österreich ohnehin angespannter ist, weil die Arbeitslosigkeit höher ist als in Deutschland und weiter steigt. Die Zukunft ist also ungewiss genug – und nun bestärken Politiker auch noch das dumpfe Gefühl, dass es sozial bald schon kälter zugehen wird im Land. Diese Botschaft auszusenden war noch nie so fatal wie heute. (András Szigetvari, 28.2.2016)