Nach acht Jahren ohne Abt ist im Stift Schlierbach seit gut zwei Wochen Pater Nikolaus im Haus.

Werner Dedl

An den traditionellen Stiftskäse muss sich der ehemalige Pfarrer von Wartberg an der Krems erst gewöhnen: "Peinlich, aber ich mag keinen Käse."

Werner Dedl

STANDARD: Der Faktor Angst scheint in der Flüchtlingskrise immer mehr Gewicht zu bekommen. Vermehrt wehen Warnungen vor einem Stimmungsumschwung durch die Öffentlichkeit. Haben Sie das Gefühl, dass die Stimmung kippt?

Thiel: Nein, ich sehe da keine große Veränderung in der Gesellschaft oder gar ein Kippen der Stimmung. Beleg dafür sind für mich die vielen Beispiele aus der Praxis, wo ein Miteinander gut funktioniert. Das Problem ist aber, dass die Hilfsbereitschaft im Moment zu wenig Stimme bekommt. Weil sie auf der Straße nicht so "sichtbar" ist wie die Kritik, die Gegnerschaft. Hilfsbereitschaft geschieht meist im Verborgenen.

STANDARD: Die Politik hat aber klar ein Ende der Willkommenskultur gefordert. Beunruhigt Sie so etwas?

Thiel: Man muss das sehr differenziert sehen: Einerseits ist ein Willkommen immer angebracht. Andererseits: Zum Willkommen gehört immer das Weiterdenken. Ja, es gibt eine Verpflichtung, sich um die Armen der Ärmsten zu kümmern. Aber der Staat, die Kirche, die Gesellschaft muss auch sagen können: "Wir haben Zukunft für euch." Und genau hier liegt das Problem: Es wurde und wird zu kurzfristig gedacht. Die Frage ist, ob man diesen Menschen Heimat, Zukunft, konkret Arbeitsplätze geben kann.

STANDARD: Die Grenzen und die Arme weit aufzumachen war also ein Fehler?

Thiel: Ein Willkommen all denen, die aus Not und Krieg zu uns kommen, kann nie ein Fehler sein. Aber heute alle einzuladen und morgen nicht zu wissen, was mit diesen Menschen eigentlich passieren soll, ist ein klares Zeichen politischer Naivität. Die Folgen sieht man ja jetzt: Es entstehen Ängste, Wut, Unsicherheit.

STANDARD: Ist man also mit der Einführung einer Obergrenze in der politischen Realität angelangt?

Thiel: Nein. Not hat keine Obergrenze. Not ist leider in unserer Welt grenzenlos. Aber ich muss versuchen, die Not in ihrer Quelle zu bekämpfen. Man muss den Menschen dort eine Lebensgrundlage schaffen – und so Fluchtbewegungen verhindern. Woher kommen etwa die Waffen, mit den die Menschen in Syrien ermordet werden? Wer verdient prächtig an diesen Kriegen? Wird da genug getan, damit Friede herrscht? Ich glaube nicht. Es ist eine Herausforderung für die EU. Aber wenn man eine Einheit ist, braucht man auch einheitliche Linien.

STANDARD: Der Mensch scheint in der Flüchtlingsdiskussion mehr und mehr in den Hintergrund zu rücken. Diskutiert wird über Zäune, Obergrenzen, Kürzungen von Sozialleistungen für Asylberechtigte. Da muss es doch einem Mann wie Ihnen, der die Barmherzigkeit quasi im Blut hat, den Magen umdrehen, oder?

Thiel: Da kann einem schon schlecht werden, stimmt. Es wird zu extrem gedacht und formuliert. Da ist vieles weit davon entfernt, was wir als Ideal sehen. Und wir als Kirche stricken unsere Ideale nicht selber, die ziehen wir aus dem Evangelium. Ich vermisse die Barmherzigkeit in der Politik.

STANDARD: Mit Ihnen gibt es jetzt nach acht Jahren wieder einen Abt im Stift Schlierbach. Warum diese lange Zeit der Sedisvakanz?

Thiel: Es war keine Sedisvakanz. Es waren zwei Administratoren zwischen 2008 und 2016 im Amt. Die haben dieselbe Leitung vollbracht wie ein Abt. Und so eine Übergangszeit ist durchaus nichts Ungewöhnliches.

STANDARD: Das wirtschaftliche Aushängeschild des Stiftes, die Klosterkäserei, hat in den letzten Jahren deutliche Verluste eingefahren und kämpfte mit Qualitätsproblemen. 2008, 2009 und 2010 war die Bilanz tiefrot. Hat man das wieder im Griff?

Thiel: Es geht aufwärts. Die Qualität stimmt, und wir sind wieder in den schwarzen Zahlen.

STANDARD: Als Schlierbacher Abt sind Sie Käseliebhaber?

Thiel: Jetzt haben Sie mich erwischt. Peinlich, aber ich mag keinen Käse. Aber ich gelobe Besserung. Das wird schon werden. (Markus Rohrhofer, 28.2.2016)