Für Eltern, die ungeborene Kinder verloren haben, ist angemessene Betreuung in der Bewältigung ihrer Trauer essenziell, Experten fordern eine bessere Unterstützung.

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Wenn Eltern ein Kind, das noch nicht einmal geboren wurde, verlieren, stürzen Welten zusammen. Schätzungen zufolge kamen 2015 global rund 2,6 Millionen Kinder tot zur Welt. Fachleute sprechen von "einer Epidemie des Trauerns".

Angaben zu Häufigkeit und Ursachen von Totgeburten indes sind meist mangelhaft. "Es wird politisch totgeschwiegen und stigmatisiert", sagt die Epidemiologin Mary Kinney von der Hilfsorganisation "Save the Children". Zwar habe sich die Datenerfassung in den vergangenen fünf Jahren etwas verbessert, vielerorts gebe es aber noch immer erhebliche Lücken. Behörden glauben oft, die genaue Registrierung sei zu aufwendig, aber das stimmt nicht, betont Kinney. "Die Experten in der Praxis wissen meist Bescheid."

Die Wissenschafterin ist Mitglied in der internationalen Studiengruppe zur Vermeidung von Totgeburten, welche vom medizinischen Fachmagazin Lancet initiiert wurde. Die Häufigkeit von Totgeburten ist ein Schlüsselindikator für die Gesundheit von Frauen und deren medizinische Versorgung. Kein Wunder also, dass 98 Prozent der Totgeburten in Entwicklungs- und Schwellenländer zu betrauern sind.

Reich und arm

Für die reicheren Industriestaaten gäbe es aber auch genug zu tun. "In diesen Ländern zeigen sich wesentliche Ungleichheiten", erklärt Mary Kinney. Die Totgeburtenrate ist bei sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen mitunter doppelt so hoch wie unter Bessergestellten. Bildungsferne Schichten sind ebenfalls deutlich stärker betroffen. Das Lancet-Gremium schlägt deshalb spezielle Unterrichtsprogramme für werdende Mütter vor.

Auch zwischen den wirtschaftlich entwickelten Ländern gibt es enorme Unterschiede. Die "International Stillbirth Alliance" hat hierzu ein aktuelle Erhebung durchgeführt. Während in der Ukraine statistisch gesehen 8,8 von 1.000 Babys tot geboren werden, sind es in Island nur 1,3. Die Häufigkeit ist zudem nicht unbedingt mit dem Bruttosozialprodukt verbunden. Im eher reichen Frankreich beträgt sie 4,7 von 1.000, im weniger wohlhabenden Kroatien 2,0. Österreich liegt mit 3,7 Toten pro 1.000 Geburten im unteren Mittelfeld.

Manche Staaten konnten die Häufigkeit in den vergangenen 15 Jahren signifikant senken – allen voran die Niederlande mit einer Verringerung von 6,8 Prozent auf nunmehr 1,8 von 1.000. In den USA dagegen betrug der Rückgang nur 0,4 Prozent (aktuell 3,0 von 1.000), in Slowenien war sogar ein leichter Anstieg von 0,5 Prozent auf 2,9 Fälle in 1.000 Geburten zu verzeichnen. Ursache unbekannt.

Auf Ursachensuche

Bezüglich der möglichen Auslöser von Totgeburten herrscht noch großer Forschungsbedarf. Für Industriestaaten gilt Übergewicht als wichtiger Faktor. Einer kanadischen Studie zufolge könnte bereits eine Verringerung des Body-Mass-Index um zehn Prozent die Totgeburten-Quote um ebenfalls zehn Prozent reduzieren.

Einen anderen, längst vermuteten Zusammenhang haben australische Forscher aufgezeigt: Auf dem Rücken schlafen ist gefährlich. Werdende Mütter, die bevorzugt so ihre Nachtruhe verbringen, tragen demnach ein um knapp zehn Prozent erhöhtes Risiko, ihr Kind tot zu gebären. Möglicherweise drücken Fötus und Gebärmutter in dieser Schlafposition zu stark auf wichtige Blutgefäße.

Die Sauerstoffversorgung des Ungeborenen könnte dadurch eingeschränkt werden. Eine gefürchtete Komplikation ist die so genannte Präeklampsie. Sie manifestiert sich durch Bluthochdruck und verstärkter Proteinausscheidung im Urin. Präeklampsie tritt bei bis zu acht Prozent aller Schwangeren auf. Sehr junge Frauen und werdende Mütter über 35 gelten als besonders gefährdet. Die Krankheit führt oft zu Schäden an der Plazenta, mit potentiell gravierenden Folgen für das ungeborene Kind. Der Einsatz von niedrig dosierten Gerinnungshemmern wie Aspirin oder Heparin zeigt hier eine schützende Wirkung, aber dieser Ansatz ist noch nicht überall auf der Welt gängige Praxis.

Trauer und Schmerz

Für die von einer Totgeburt betroffenen Eltern indes dürfte die seelische Belastung am schwersten sein. Sie fühlen sich oft alleine gelassen und unverstanden, erklärt Mary Kinney. Vor allem die Mütter können nach einem solchen traumatischen Erlebnis unter Depressionen und Schuldgefühlen leiden, ihre Umgebung reagiert oft unsensibel. Die Natur, heißt es dann etwa, habe eben einen Fehler korrigiert.

Doch viele Totgeburten sind sehr wohl vermeidbar, wie Experten betonen. Fatalismus sei völlig fehl am Platz. Die psychische Seite des Problems wird gesellschaftlich weitgehend ausgeblendet, mahnt Kinney. "Elterngruppen zum Beispiel bekommen keine finanzielle Unterstützung." Die Betroffenen jedoch müssen angemessen betreut werden und die Möglichkeit haben, um ihr verlorenes Kind zu trauern. Nur so lasse sich das Leid überwinden. (Kurt de Swaaf, 27.2.2016)