Seit Monaten war es den Verantwortlichen in der EU klar, dass man dringend etwas tun muss, um den Flüchtlingsstrom über die Balkanroute zu stoppen. Und es war jedem bewusst, dass dies nur mit Maßnahmen geht, die zu einem Rückstau in den Transitländern, vor allem in Griechenland, führen würden. Denn solange der Weg nach Österreich, Deutschland und Schweden offen ist, werden weiterhin täglich Tausende das Mittelmeer überqueren – und nach Ende des Winters noch viele mehr.

Österreichs Entscheidung, nationale Grenzen zu setzen, statt weiter auf eine europäische Lösung zu warten, stieß deshalb anfangs vielfach auf Verständnis. Irgendwo muss der Bremsprozess einsetzen, und da die deutsche Kanzlerin Angela Merkel sich nicht bewegen will, war Österreichs Südgrenze ein logischer Ort.

Aber es war von Anfang an klar, dass solche Maßnahmen gut vorbereitet sein müssen, damit sie möglichst wenig Leid und möglichst viel Wirkung verursachen. Ziel müsste sein, dass sich die Menschen erst gar nicht auf den Weg machen, weil sie wissen, dass sie keine Chance haben, in ihr Wunschland zu gelangen. Verhindert werden muss hingegen die Wiederholung der Schreckensszenen vom August 2015, als zehntausende Verzweifelte in Ungarn steckenblieben.

Doch genau diesen Effekt wird die Bundesregierung mit ihrer Vorgangsweise erzielen – und wird dafür zu Recht heftig kritisiert. Die Obergrenze wurde weder mit Deutschland noch mit der EU-Kommission richtig abgesprochen. Die Zahlen und deren Durchsetzung sind so gewählt, dass die Tür einen Spalt offen bleibt – und so die Hoffnung lebendig. Der von Österreich gewünschte "Dominoeffekt" wird den Flüchtlingsandrang allein nicht stoppen. Denn bis die Botschaft von der Obergrenze in Spielfeld in Afghanistan, Marokko und der Türkei ankommt, wird noch viel Zeit vergehen.

Das neue Reglement wird zwar mit den Balkanstaaten koordiniert, nicht aber mit Athen, das auf den abgewiesenen Asylwerbern sitzenbleibt. Und die Türkei, Schlüsselstaat bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise, spielt im Wiener Kalkül gar keine Rolle.

Das Einzige, was Österreich zu seiner Verteidigung vorbringen kann, ist, dass seine Kritiker noch konzeptloser agieren. EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos pocht in seinen Briefen an Wien auf ein EU-Recht, das seit Monaten von allen ignoriert wird und an der Realität der heutigen Migrationsbewegungen vorbeigeht.

Deutsche Minister beschweren sich einmal darüber, dass Österreich Grenzen setzt – und dann wieder, dass die Grenzen zu hoch sind. Das von Merkel angestrebte Abkommen mit der Türkei kommt nicht vom Fleck.

Griechenland tobt, weil es nicht mit am Tisch sitzt, hat aber durch eigene Untätigkeit viel zur Krise beigetragen. Und während Österreich praktische Lösungen sucht, schlägt Nachbar Ungarn unter Viktor Orbán mit dem Referendum gegen die EU-Verteilungsquoten einen Weg ein, der den aufgepeitschten Volkszorn ganz offiziell über europäische Verträge stellt.

Das neue Grenzmanagement auf dem Balkan wird nichts nutzen, wenn Deutschland offen bleibt und die Türkei die Schlepper nicht stoppt. Die Schurkenrolle, die Österreichs Minister jetzt proben, werden sie angesichts von Elendsbildern aus Griechenland nicht durchhalten. Benötigt wird stattdessen ein diplomatisches Geschick, das diese Regierung bisher nicht bewiesen hat. (Eric Frey, 24.2.2016)